Schon heute steckt im Weltall viel Schweiz. Und künftig dürfte es noch viel mehr werden. Warum die Schweiz für den New Space prädestiniert ist, was die Treiber hinter diesem neuen Wachstumsmarkt sind und warum private Anbieter im Vorteil sind, weiss André Wall, CEO von Beyond Gravity.
Viele denken beim Thema Raumfahrt als Erstes an Raketen, Marsmissionen oder die Suche nach ausserirdischem Leben. An was denken Sie?
André Wall: Natürlich auch an Raketen und Astronauten, die im Weltall herumfliegen, oder ähnliche Bilder aus der Kindheit. In erster Linie aber sehe ich den Nutzen, den das All für die Erde und die Menschheit hat, etwa durch präzise Wetter- oder Klimadaten. Und eng damit verbunden an das wirtschaftliche Potenzial des Weltraums.
«Der Weltraum öffnet ein riesiges wirtschaftliches Potential.»
André Wall, CEO Beyond Gravity
Die verstärkte Kommerzialisierung des Alls durch private Anbieter ist unter «New Space» bekannt. Was sind die Treiber dahinter?
Die gestiegene Zuverlässigkeit und die extrem gesunkenen Kosten der Trägerraketen ermöglichen markant mehr Starts. Das wiederum ist die Voraussetzung, dass sich neue und vielfältige Wirtschaftsräume im All öffnen.
Was ist mit New Space gemeint?
André Wall hat mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Luft- und Raumfahrtindustrie. Er übernahm Ende 2020 den CEO-Posten bei Ruag International und ist seit Mai 2023 auch operativer Chef von Beyond Gravity. Wall möchte Beyond Gravity zu einem agilen, innovativen Technologieführer im New Space machen. Der diplomierte Maschinenbauingenieur lebt mit seiner Familie in Zürich.
Warum sind private Anbieter im Vorteil?
Sie haben eine deutlich höhere Risikobereitschaft und Zugang zum Kapitalmarkt. Damit entsteht eine ganz andere Dynamik mit grösserer Geschwindigkeit und viel mehr Innovation.
«Private Anbieter sind im Vorteil. Sie haben eine deutlich höhere Risikobereitschaft und Zugang zum Kapitalmarkt.»
André Wall, CEO Beyond Gravity
Haben die grossen, staatlich getriebenen und finanzierten Raketenprogramme im New Space überhaupt noch eine Berechtigung?
Organisationen wie Nasa oder Esa dürften sich stärker in Richtung «Einkaufsorganisationen» wandeln. Der Staat und die Politik legen fest, was erforscht werden soll beziehungsweise welche Daten benötigt werden. Die Behörden kaufen anschliessend die dafür notwendigen Weltraumleistungen bei entsprechend qualifizierten privaten Anbietern ein.
Welches sind aktuell die wichtigsten Anwendungen aus dem All, die wir auf der Erde nutzen können?
Da sind sicher einmal Ortung und Navigation zu nennen. Aber auch die ganzen Erdbeobachtungssysteme. Diese leisten einen wichtigen Beitrag zu Früherkennung und Frühwarnung vor Katastrophen. Wir sind beispielsweise an vorderster Front bei der ESA Mission «EarthCARE» dabei. Weiter sind Wetter- und Klimasatelliten von grosser Bedeutung. Sie liefern präzise Daten für Wettervorhersagen und unterstützen die Forschung zur Klimaveränderung. Zentral sind zudem auch alle kommunikationsbezogenen Anwendungen, etwa das Projekt Kuiper, welches Satelliteninternet für entlegene Regionen ermöglicht. Beyond Gravity ist Partner für dieses innovative Projekt von Amazon.
Und was dürfen wir in ein paar Jahren erwarten?
Künftig dürfte auch die Produktion im All an Bedeutung gewinnen, insbesondere in Prozessen bei denen Schwerelosigkeit unmittelbare Vorteile liefert. Anwendungsbeispiele finden sich beispielsweise im Halbleiterbereich oder in der Medikamentenherstellung.
Wie viel Schweiz steckt heute schon im All?
Eine ganze Menge. Schweizer Ingenieure machen im All schon lange vieles möglich. Ich denke da zum Beispiel an die Nutzlastverkleidungen, die seit Jahrzehnten in Emmen für die europäischen Raketen wie Ariane und Vega oder die japanische H3- oder Kairos-Raketen gefertigt werden und deren Fracht zuverlässig schützen. Oder an Satellitenstrukturen aus Zürich-Seebach. Die Schweiz ist prädestiniert für den New Space.
Was zeichnet uns besonders aus?
Sicherlich unser duales Bildungssystem. Dieses führt zu einem international einzigartigen Mix an gut ausgebildeten Personen. Aber auch die hohe Innovationsquote und Lebensqualität sind wichtige Standortfaktoren, nicht zuletzt im Wettbewerb um internationale Spitzenfachkräfte. Dazu kommen das starke Qualitätsbewusstsein und der hohe Qualitätsanspruch – beides quasi Bestandteile der Schweizer DNA.
Was kann und soll der Staat leisten, um die Schweiz als Standort für die Raumfahrtindustrie attraktiv zu halten?
Liberale und nicht zu einschränkende Rahmenbedingungen und Regulierungen sind zentral. Dazu gehören Arbeitsmöglichkeiten für internationale Fachkräfte genauso wie wettbewerbsneutrale Ausfuhrbestimmungen. Von Vorteil ist zudem eine weiterhin gute Einbindung der Schweiz in wichtige internationale Raumfahrtinitiativen wie beispielswiese das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus.
Und wie kann die Politik zum künftigen Gedeihen und Wachstum von Beyond Gravity beitragen?
Da steht sicherlich die zusammen mit dem Bundesrat vereinbarte Privatisierungsstrategie im Vordergrund. Künftige private Besitzer sind tendenziell eher bereit, höhere Risiken zu tragen und zusätzliches Kapital bereitzustellen. Dies wird es uns ermöglichen, viele neue Dinge anzupacken und umzusetzen und so Wachstum zu generieren. Damit schaffen wir gleichzeitig vielfältige zusätzliche Absatzchancen für unsere Schweizer Zulieferer.
Welche Vorteile bringt eine starke Schweizer Raumfahrtindustrie dem Land?
Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten in einem äusserst interessanten, zukunftsträchtigen globalen Wachstumsmarkt. Der Weltraum wird zur Commodity und bietet damit künftig für jede Industrie und Branche Möglichkeiten. Es lohnt sich, im All mit dabei zu sein.
«Es lohnt sich, im All mit dabei zu sein.»
André Wall, CEO Beyond Gravity
Auch persönlich? Würden Sie mit zum Mars fliegen, wenn Sie ein Ticket erhalten?
Das würde mich schon reizen. Es müsste aber mit einer «sinnhaften» Mission verbunden sein, die einen Beitrag zu etwas Grösserem leistet.
Beyond Gravity gehört zu den Schweizer Pionieren im New Space. Die vormalige Ruag Space kombiniert Start-Up-Mindset mit jahrzehntelanger Erfahrung. Bekannt ist Beyond Gravity vor allem für Nutzlastverkleidungen, die in den Ariane-Raketen aber auch in anderen Trägerraketen genutzt werden. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Zürich ist in sieben Ländern tätig und beschäftigt rund 1800 Personen. Aktuell gehört Beyond Gravity noch zur staatlichen Ruag International Holding AG. Bis Ende 2025 soll die Gesellschaft in private Hände übergeben werden.