Bei Börsenturbulenzen spielt unser Hirn verrückt
Börsen steigen und fallen. Das ist an sich kein Grund zur Sorge. Trotzdem schrecken kurzfristige Turbulenzen viele Menschen davon ab, an der Börse einzusteigen. Warum wir so reagieren, weiss Tashi Gumbatshang, Wirtschaftspsychologe und Raiffeisen Anlagexperte.
Psychologische Fallstricke schüren Ängste
Langzeitanalysen belegen: Über Jahrzehnte hinweg zeigt der Trend an der Börse nach oben. Trotzdem lösen kurzfristige Turbulenzen bei vielen Menschen Ängste aus – und halten Leute, die ihr Geld (noch) nicht anlegen, erst recht davon ab. Ein wichtiger Grund für diese Zurückhaltung sind psychologische Fallstricke. Tashi Gumbatshang, Wirtschaftspsychologe und Raiffeisen Anlageexperte, erklärt die drei wichtigsten.
Der Rezenzeffekt
Je neuer eine Information ist, desto mehr Gewicht verleihen wir ihr – unabhängig davon, wie relevant sie ist. Das hat mit unserem Gedächtnis zu tun: An aktuelle Informationen erinnern wir uns besser, darum schenken wir ihnen mehr Beachtung.
Das sollten Sie wissen
- Uns unterlaufen Fehler, wenn wir das Geschehen an den Finanzmärkten beurteilen. Auch wenn wir uns als rationale Menschen verstehen: Wir sind leider nicht so objektiv, wie wir es uns wünschen, und ordnen Informationen nicht konsequent nach Wichtigkeit.
- Der langfristige Trend an der Börse zeigt über Jahrzehnte hinweg nach oben. Ein langer Anlagehorizont schützt uns also vor Schwankungen. Wegen des Rezenzeffekts sind Nachrichten zu kurzfristigen Turbulenzen aber viel präsenter und sorgen dafür, dass wir die Risiken an der Börse systematisch überschätzen.
Der Bestätigungsfehler
Informationen, die unsere eigene Meinung bestätigen, wirken auf uns besonders glaubwürdig. Andere Informationen blenden wir tendenziell eher aus.
Das sollten Sie wissen
- Wir suchen, wählen und interpretieren Informationen so, dass sie unsere Erwartungen bestätigen – auch wenn es um die Börse geht. Wer den Finanzmärkten ohnehin nicht traut, konzentriert sich eher auf negative News über das dortige Geschehen als auf positive.
- Emotionen sind schlechte Ratgeber, wenn es um die Finanzmärkte geht. Ein objektiveres Bild liefern Statistiken, Wahrscheinlichkeiten und Datenanalyse. Darauf ist Verlass. Das wissen auch Börsenexpertinnen und -experten: Sie knüpfen ihre Entscheide an Zahlen und Fakten und vermeiden so die Emotionsfalle.
- Die Börsenkurse täglich zu verfolgen, ist in der Regel keine gute Idee. Bei kurzfristigen Tauchern fühlen wir uns bloss in unseren Ängsten bestätigt und lassen uns zu übereilten Entscheiden hinreissen. Besser man bestimmt eine Anlagestrategie, die optimal auf die persönlichen Bedürfnisse und Ziele ausgerichtet ist – und hält konsequent daran fest. So erübrigt sich der tägliche Blick ins Portfolio.
Die Verlustaversion
Verluste lösen bei uns wesentlich stärkere Emotionen aus wie Gewinne – auch wenn es um den gleich grossen Betrag geht. Die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie zeigen denn auch, dass die meisten Menschen Verluste im Schnitt fast zwei Mal höher gewichten als Gewinne.
Das sollten Sie wissen
- Die Verlustaversion verleitet uns zu übervorsichtigen und im Endeffekt irrationalen Entscheidungen – etwa wenn wir aus Angst vor Verlusten aufs Anlegen verzichten: Wir blenden nicht nur mögliche Gewinne aus, sondern beispielweise auch den Kaufkraftverlust, den Geld auf dem Sparkonto bei tiefen Zinsen oder Inflation erleidet.
- Gerade bei einem langfristigen Vermögensaufbau sollten wir uns nicht von Ängsten leiten lassen. Denn dank des langen Anlagehorizonts werden Verluste über die Zeit ausgeglichen und fallen nicht ins Gewicht.
Kritisch sein, aber nüchtern bleiben
Es ist nicht falsch, das Geschehen an den Märkten kritisch zu beobachten – auch in turbulenten Zeiten. Dabei ist jedoch gerade für wenig Erfahrene wichtig zu wissen: Auf das kurzfristige Auf und Ab an der Börse reagiert unser Hirn mit viel stärkeren Warnsignalen, als nüchtern betrachtet nötig wären.
Tashi Gumbatshang
Leiter Kompetenzzentrum Vermögens- und Vorsorgeberatung Raiffeisen Schweiz
Tashi Gumbatshang leitet das Kompetenzzentrum für Vermögens- und Vorsorgeberatung bei Raiffeisen Schweiz. Er studierte Betriebswirtschaft an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW sowie Arbeits- und Organisationspsychologie an der Bergischen Universität Wuppertal in Deutschland. Tashi Gumbatshang ist Absolvent der Swiss Banking School und eidg. dipl. Finanz- und Anlageexperte. Im Nebenamt ist er als Dozent für Finanz- und Wirtschaftspsychologie an der Kalaidos Fachhochschule tätig.
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