CIO Kolumne: «Digitale (R-)Evolution?»

Nein, diese Kolumne hat nicht ChatGPT geschrieben. Unabhängig davon erreicht der Hype um das Thema Künstliche Intelligenz (KI) derzeit neue Dimensionen. Entsprechend werden Szenarien verbreitet, wonach KI unser (Arbeits-)Leben innert kürzester Zeit auf den Kopf stellen und zu einem massiven Arbeitsplatzverlust führen wird. Allerdings gilt auch bei diesem Thema: Nichts wird so heiss gegessen, wie es gekocht wird.

Ich kann mich noch gut an einen Vortrag anlässlich einer Finanzkonferenz in Singapur vor rund 6 Jahren erinnern. Es ging ums Thema Robotik. Fast schon apokalyptisch hat der Referent dargelegt, wie in unmittelbarer Zukunft Roboter unsere Arbeitswelt komplett durchdringen werden. Als Beispiel erwähnte er eine Restaurantkette in Japan, wo die Bestellungen und der gesamte Service von humanoiden Robotern abgewickelt werden. Auch im Gesundheitssystem – sprich in den Spitälern sowie Alters- und Pflegeheimen – würden die programmierten Blechkisten das Pflegepersonal in kürzester Zeit obsolet machen und vollständig ersetzen.

Nun, ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber ich wurde noch nie in einem Restaurant von einem Roboter bedient und auch auf dem Spitalflur ist mir noch keiner begegnet. Zugegeben, ich war noch nie in Japan, aber ansonsten komme ich doch ein bisschen in der Welt herum.

Was ich damit sagen will: Technologische Entwicklungen verlaufen sehr selten revolutionär, sondern vielmehr evolutionär. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir eines Morgens aufwachen und sich die Welt über Nacht dermassen verändert hat, dass wir uns nicht mehr zurechtfinden, liegt ziemlich nahe bei Null. Zudem sind bahnbrechende Basisinnovationen, welche die langfristigen Wirtschaftszyklen nachhaltig verändern, relativ selten. Der russische Ökonom Nikolai Kondratieff hat dies in seiner Theorie der langen Wellen beschrieben. Demnach läutete die Erfindung der Dampfmaschine ab 1769 den Beginn der Industrialisierung ein. Die weiteren Zyklen wurden durch die Eisenbahn (1840 – 1890), die Elektrizität (1890 – 1940) sowie die Erfindung des Automobils und der Luftfahrt (1940 – 1990) angestossen. Mit dem Ausrollen des PCs sowie der Erfindung des Internets läuft aktuell der Zyklus der Informationstechnologie und Digitalisierung. KI ist demnach eine Weiterentwicklung, welche auf diesen Basisinnovationen basiert. Und obwohl der Hype riesig ist, bleiben viele Fragen offen: Wie steht es um den Datenschutz? Wer haftet für Fehler und Falschinformationen? Und wie werden ethische Bedenken berücksichtigt? Klar ist aus heutiger Sicht, dass eine Schwemme an Regulierungen auf die neue Technologie zukommen wird.

«Technologische Entwicklungen verlaufen sehr selten revolutionär, sondern vielmehr evolutionär.»

Die digitale Transformation wird dennoch weitergehen. Arbeitsprozesse werden laufend optimiert und verbessert. Veränderungen sind eine Konstante. Allerdings erfolgen diese in der Regel schrittweise und nicht abrupt. Das gilt auch im Banking. Wir investieren laufend in den Ausbau und die Erweiterung der digitalen Kanäle – schlicht und einfach, weil es ein Kundenbedürfnis ist. Dass sich die Art und Weise, wie das Bankgeschäft betrieben wird aber in naher Zukunft komplett verändert, ist eine Illusion beziehungsweise Wunschdenken der Fintech-Branche. Der Hype um die Blockchain, digitale Vermögenswerte und Neo-Banken hat sich in Luft aufgelöst. Dass im Jahr 2022 von 450 von der Boston Consulting Group untersuchten Fintech-Firmen gerade einmal 5% profitabel waren, spricht für sich. Das Ende des billigen Geldes hat aus manchem Einhorn ein Zwergpony gemacht und die junge Branche ist hart auf dem Boden der Realität gelandet. Eben: Evolution und nicht Revolution.

Vor 150 Jahren hätte ich diese Kolumne noch mit Feder und Tinte auf Papier gebracht. 1868 wurde das Patent für die Schreibmaschine angemeldet. Diese wiederum wurde ab 1980 schrittweise durch den PC abgelöst. Auf einem solchen wurden auch diese Zeilen getippt. Die Zeiten verändern sich. Aber oft viel langsamer als man meinen könnte.

Und auf die Hilfe von ChatGPT werde ich beim Verfassen meiner Texte auch weiterhin verzichten.

 

Matthias Geissbühler, CIO Raiffeisen Schweiz

Wie Ihnen der Start ins digitale Anlegen einfach gelingt

Portrait Matthias Geissbühler

Matthias Geissbühler

Chief Investment Officer Raiffeisen Schweiz

Seit Januar 2019 ist Matthias Geissbühler als Chief Investment Officer (CIO) von Raiffeisen Schweiz für die Anlagepolitik verantwortlich. Zusammen mit seinem Team analysiert er kontinuierlich die weltweiten Geschehnisse an den Finanzmärkten und entwickelt die Anlagestrategie der Bank.

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