Was Risikobereitschaft mit unserer Persönlichkeit zu tun hat
Wir entscheiden total rational, wenn es um unsere Finanzen geht? Stimmt nicht. Entscheidungen fallen immer unbewusst und emotional, sagt der Psychologe und Hirnforscher Hans-Georg Häusel. Im Interview erklärt er, welchen Einfluss unsere Persönlichkeit hat und wie sich unsere Risikobereitschaft im Laufe des Lebens verändert.
Die eine findet ihr Freizeitglück beim Pflanzen von Gemüsesetzlingen im heimischen Garten, der andere legt sich mit dem Motorrad auf dem Alpenpass besonders tief in die Kurven. Warum sind wir alle so verschieden?
Dr. Hans-Georg Häusel: Niemand tickt genau gleich wie der andere – sei es im Job, im Liebesleben, beim Hobby oder im Umgang mit Geld. Wer eher risikoaffin ist, sieht in allen Bereichen seines Lebens vor allem die Chancen. Umgekehrt fokussieren risikoscheue Personen auf die Gefahren und blenden die Belohnung ein stückweit aus. Unsere Persönlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch unser Leben. Welcher Risiko-Typ wir sind, können wir nicht ändern.
Welche Faktoren bestimmen unser Verhältnis zum Risiko?
Es gibt drei wesentliche Emotionssysteme, die bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind: Das Balance-System, das Dominanz-System und das Stimulanz-System. Während das Balance-System vor allem Sicherheit und Stabilität zum Ziel hat, stehen beim Dominanz-System Durchsetzung, Konkurrenzverdrängung und Macht im Vordergrund. Das Stimulanz-System wiederum steht für die Entdeckung von Neuem. Geformt wird der individuelle Mix zum einen Teil schon vor der Geburt, zum anderen durch Erziehung, Lebenserfahrung und Kultur. Steht bei einer Person beispielsweise das Balance-System im Vordergrund, wird sie vor Risiken eher zurückschrecken – denn Neues löst bei ihr Unruhe und Sorge aus.
Bleiben wir unser Leben lang gleich?
Nein. Unser Umgang mit Risiken und Chancen verändert sich mit dem Alter. Vor allem junge Männer zwischen 18 und 30 zeigen dank dem Sexualhormon Testosteron und dem Glückshormon Dopamin das höchste Risikoverhalten. Die Konzentration dieser Hormone nimmt im Alter ab – und umso mehr übernimmt die Angst. Kommt dann ein eigenes Kind mit ins Spiel, verändert das das Gehirn nachhaltig: Männer wie Frauen werden harmonieorientierter und gehen weniger Risiken ein.
«Unsere Entscheide fallen immer unbewusst und emotional.»
Wie beeinflusst unser Risikotyp unseren Umgang mit Geld?
Geht es um finanzielle Entscheide, werden die Unterschiede zwischen den Risikotypen besonders deutlich. Für einige ist Geld quasi konzentrierte Lust in der Hosentasche. Beim Thema Anlegen sehen sie nur die mögliche Belohnung – die Risiken ignorieren sie fast vollständig. Andere wiederum vergeben sich von Beginn weg alle Chancen, indem sie ihr Erspartes auf dem Sparkonto horten. So oder so: Unsere Entscheide fallen immer unbewusst und emotional.
Bleiben wir beim Thema Anlegen: Gibt es noch andere Faktoren, die unsere Entscheidungen beeinflussen?
Wie Menschen Chancen und Risiken wahrnehmen und einschätzen, basiert neben ihrer Persönlichkeit auch darauf, welches Wissen sie haben und wie gut sie dieses anwenden können. Bei Anlageentscheiden ist es besonders schwierig, alle nötigen Informationen zu sammeln. Schliesslich verstehen wir die Welt immer nur «rückwärts» und können nicht in die Zukunft schauen. Wer hat beispielsweise die Corona-Pandemie oder den Ukraine-Krieg vorhergesehen? Den meisten Menschen ist es zu viel Arbeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen – und das Gespräch mit dem Bankberater wird tunlichst vermieden.
«Wenn ich weiss, wo meine Stärken und Schwächen liegen, gelange ich zu besseren Entscheidungen.»
Wie kommen wir dennoch zu besseren Entscheiden?
Als Menschen sind wir fähig, ein stückweit über uns selbst zu reflektieren. Wenn ich weiss, wo meine Stärken und Schwächen liegen, beziehungsweise welcher Risikotyp ich bin, ich mir zudem auch die Meinung anderer anhöre und mich informiere – dann gelange ich zu besseren Entscheidungen.
Dr. Hans-Georg Häusel
Diplom-Psychologe und Experte Neuromarketing
Dr. Hans-Georg Häusel ist Diplom-Psychologe und Experte im Neuromarketing. Er ist Autor vieler Wirtschaftsbestseller. Sein Buch «Brain View – Warum Kunden kaufen» wurde 2010 zum besten deutschen Marketing-Buch und von einer internationalen Jury zu einem der 100 besten Wirtschaftsbücher aller Zeiten gewählt.