Vorsorgebarometer 2022: Das sind die fünf wichtigsten Erkenntnisse
Wie ticken die Schweizerinnen und Schweizer in Sachen Vorsorge? Das Vorsorgebarometer fühlt der Bevölkerung Jahr für Jahr auf den Zahn. Andrea Klein und Tashi Gumbatshang von Raiffeisen Schweiz und Daniel Greber, Institutsleiter bei der ZHAW, ordnen die wichtigsten Erkenntnisse ein.
Erkenntnis #1
Die Bevölkerung will das Dreisäulensystem stärken
Die Schweizerinnen und Schweizer glauben an das Dreisäulensystem, möchten es aber gezielt stärken. Das zeigt das 5. Vorsorgebarometer von Raiffeisen und der ZHAW. Den höchsten Reformbedarf sieht die Bevölkerung in der AHV. Die Mehrheit befürwortet grundsätzlich eine Anpassung des Rentenalters. Die grösste Zustimmung findet mit 36 Prozent eine Angleichung auf 65 Jahre für beide Geschlechter. 29 Prozent möchten kein fixes Rentenalter mehr, sondern einen Mechanismus mit automatischer Anpassung. Parallel zur 1. Säule wollen 39 Prozent vor allem auch die 2. Säule stärken. Den Reformbedarf in der 3. Säule schätzen die Befragten als am geringsten ein.
Was wäre bei einer Rentenreform aus Ihrer Sicht das richtige Rentenalter für die Schweizer Bevölkerung? (in Prozent, inkl. Altersgruppe 65+)
«Der Reformstau im Dreisäulensystem wird immer grösser. Die AHV hat in den letzten zehn Jahren wegen der demografischen Entwicklung mehrheitlich Umlageverluste erlitten und die Pensionskassen befinden sich in einer schwierigen finanziellen Lage. Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer hat den hohen Reformbedarf erkannt und ist bereit, entsprechende Massnahmen in der 1. und 2. Säule mitzutragen. Die Bevölkerung verspricht sich offenbar viel von den Reformen, denn das Vertrauen ins Dreisäulensystem hat zugenommen – insbesondere in die AHV.»
Daniel Greber, Leiter Institut Risk & Insurance ZHAW
Erkenntnis #2
Vorsorgefonds sind beliebter denn je
In der 3. Säule findet ein Umdenken statt: Vorsorgefonds werden immer populärer. Insbesondere junge Erwachsene sorgen vermehrt mit Wertschriften vor. Fast die Hälfte der 18- bis 30-Jährigen investiert in Vorsorgefonds und nur noch 44 Prozent lassen ihr Geld auf dem Säule-3a-Sparkonto. Generell sind bei den Männern Vorsorgefonds mit knappem Vorsprung neu das meistgenutzte Angebot in der privaten Vorsorge. Bei den Frauen ist das Sparkonto zwar weiterhin die beliebteste Lösung, doch auch hier nimmt der Anteil der Vorsorgefonds laufend zu: 35 Prozent der Frauen mit einer Säule 3a investieren in Wertschriften – das sind 4 Prozentpunkte mehr als noch im Vorjahr.
Vorsorgefonds bei den 18- bis 30 Jährigen erstmals beliebter als Säule-3a-Konto
«Die Popularität von Vorsorgefonds hat drei Gründe: Erstens tiefe Zinsen auf den Sparkonten. Auch Personen ohne grosse Finanzkenntnisse erkennen, dass sie damit nicht vorankommen. Zweitens ist das Angebot an Vorsorgefonds breiter geworden, und die Vorteile sind heute vielen bekannt – insbesondere den Jüngeren. Und drittens fördert die starke Präsenz der Altersvorsorge in den Medien die Einsicht, dass die staatlichen Leistungen begrenzt sind und man selbst handeln muss.»
Tashi Gumbatshang, Vorsorge-Experte Raiffeisen
Gut zu wissen
So funktioniert Vorsorgen mit Wertschriften
Wer mit Wertschriften vorsorgt, investiert sein Geld zusammen mit vielen anderen in einen Vorsorgefonds. Der Fonds setzt sich aus einem Bündel verschiedener Anlageinstrumente zusammen – dem Portfolio. Alle Vorsorgefonds von Raiffeisen berücksichtigen Nachhaltigkeitskriterien. Zur Auswahl stehen zwei Arten von Fonds: Bei aktiv verwalteten Vorsorgefonds wird die Zusammensetzung der Wertschriften nach bestimmten Kriterien vorgenommen, laufend überprüft und gegebenenfalls verändert – mit dem Ziel, die Marktrendite zu übertreffen. Indexnahe Fonds bilden den Referenzindex so nah wie möglich ab, aber mit einer stärkeren Gewichtung von nachhaltigen Titeln. So ermöglichen sie eine kostengünstige und effiziente Abbildung der Marktentwicklung.
Erkenntnis #3
Frauen holen in der 3. Säule auf
Die private Vorsorge gewinnt weiter an Beliebtheit. Fast drei Viertel der Bevölkerung verfügen mittlerweile über ein Säule-3a-Konto. Während bei den Männern 78 Prozent eine 3. Säule haben, beträgt der Anteil bei den Frauen aktuell erst 71 Prozent. Doch sie holen stetig auf: Seit 2018 hat der Anteil der Säule-3a-Vorsorgerinnen um über 4 Prozentpunkte zugenommen. Auch bei den einbezahlten Beträgen wird der Unterschied kleiner. Der Anteil der Männer, die den Maximalbetrag einzahlen, ist gegenüber dem Vorjahr leicht zurückgegangen, auf knapp 59 Prozent. Bei den Frauen hat sich dieser Anteil hingegen um über 6 Prozentpunkte erhöht und liegt nun bei 52 Prozent.
Frauen nutzen die Säule 3a seltener als Männer
«Das Vorsorgebarometer zeigt, dass sich Frauen weniger mit dem Thema Vorsorge beschäftigen als Männer. Deshalb nutzen sie die Säule 3a auch weniger. Die private Vorsorge ist aber gerade für Frauen besonders wichtig, weil sich damit Beitragslücken bei AHV und Pensionskasse abfedern lassen. Da sehr viele Frauen Teilzeit arbeiten, verfügen sie in der Tendenz über weniger freie Mittel und können sich deshalb die Einzahlung des Maximalbetrags in die Säule 3a nicht im gleichen Masse leisten wie Männer. Erfreulicherweise ändert sich das jedoch, wie die aktuelle Befragung unterstreicht.»
Andrea Klein, Vorsorge-Expertin Raiffeisen Schweiz
Erkenntnis #4
Männer sind risikofreudiger
Für viele Schweizerinnen und Schweizer geht bei der Vorsorge Sicherheit vor: Rund die Hälfte der Bevölkerung ist grundsätzlich nicht bereit, zur Vermögensvermehrung ein Risiko einzugehen, darunter vor allem Frauen. Etwas risikofreudiger zeigen sich die Männer: Ihnen sind hohe Erträge wichtiger – und dafür nehmen sie auch mehr Risiken in Kauf. Bei Investitionen in Vorsorgefonds stehen für 35 Prozent der Männer hohe Renditechancen im Vordergrund, während dies nur für 18 Prozent der Frauen relevant ist. Die grösste Risikobereitschaft haben jüngere Personen sowie Erwerbstätige mit hohem Einkommen.
Bei den wichtigsten Kriterien bei der Wahl des Vorsorgefonds setzen Frauen auf Sicherheit und Nachhaltigkeit, Männer auf Renditechancen
«Männer streben in der Vorsorge offensichtlich eher nach Ertragschancen und nehmen dafür auch höhere Risiken in Kauf. Frauen äussern hingegen ein grösseres Sicherheitsbedürfnis. Dies ist mit ein Grund, warum viele dem Säule-3a-Sparkonto treu bleiben. Doch auch jene Frauen, die ihre Vorsorgegelder in Wertschriften investieren, gewichten die Sicherheit hoch und wählen Lösungen mit geringen Wertschwankungen. Zudem fällt auf, dass Frauen mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen, während Männer grösseres Interesse an digitalen Vorsorgelösungen zeigen.»
Tashi Gumbatshang, Vorsorge-Experte Raiffeisen
Wie tickt die Schweizer Bevölkerung in Sachen Vorsorge?
Das Raiffeisen Vorsorgebarometer ist eine repräsentative Studie, die jährlich in Zusammenarbeit mit der ZHAW durchgeführt wird. Sie zeigt auf, wie die Schweizer Bevölkerung in Bezug auf die Altersvorsorge tickt. Die Ergebnisse basieren auf einer Befragung, die vom 13. bis 24. Juni 2022 in allen Landesteilen durchgeführt wurde. Insgesamt nahmen 1'006 Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren teil. Dieses Jahr lag der Fokus der Befragungen auf der Zukunftsfähigkeit des Schweizer Dreisäulensystems.
Erkenntnis #5
Inflation verunsichert die Bevölkerung
Die Teuerung hat Folgen für die Vorsorge, denn sie mindert den Wert der Altersguthaben. Über ein Drittel der Befragten ist ratlos, wie Vorsorgegelder gegen Inflation geschützt werden sollen. 36 Prozent halten es für das Beste, die Gelder auf dem Säule-3a-Konto zu lassen, obwohl sie dort kaum vor Substanzverlust geschützt sind. Wertschriftenkäufe ziehen nur 16 Prozent in Betracht, obschon sich damit der Kaufkraftverlust durch höhere Erträge kompensieren liesse. Zudem bringt das Vorsorgebarometer auch die Sorge zum Ausdruck, dass die Altersleistungen wegen der sinkenden Rentabilität der Vorsorgegelder gekürzt werden müssen. Waren im letzten Jahr deswegen erst knapp 23 Prozent der Bevölkerung besorgt, sind es in diesem Jahr bereits 27 Prozent. Bei den über 50-Jährigen liegt dieser Wert sogar bei über 40 Prozent.
Übersicht: Einfluss der Inflation auf die Altersvorsorge
«Die Inflation stellt ein Risiko für die Vorsorge dar. Zwar gibt es in der AHV einen gesetzlich verankerten Teuerungsausgleich; in der beruflichen Vorsorge liegt dieser hingegen im Ermessen der Pensionskassen. Doch in der 3. Säule ist die Teuerung besonders problematisch. Hier nagt die hohe Inflation an der Substanz der angesparten Altersguthaben und die meisten der Befragten haben kein Rezept dagegen. Gleichzeitig nimmt die Befürchtung zu, dass es in der 2. Säule zu Leistungskürzungen kommt, weil die Rentabilität der Vorsorgegelder abnimmt. Diese Angst dürfte durch die jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten noch verstärkt worden sein.»
Daniel Greber, Leiter Institut Risk & Insurance ZHAW