Analyse
Die gewachsene Stadtstruktur des Raiffeisen-Viertels bildet innerhalb des Betrachtungsperimeters ein Konglomerat von Gebäuden, dessen Aussen- und Zwischenräume von zusammenhaltloser Heterogenität geprägt sind. Der Stadtraum erscheint somit als Folge von aneinandergereihten Resträumen, und wirkt weitgehend zerklüftet. Der Aussenraum wird dabei von harten Gebäudekanten definiert, die eine Wechselwirkung von Innen und Aussenraum negieren. Die raumbildenden Gebäudefassaden unterstreichen gleich eines gebauten Zeitkolorits den uneinheitlichen Charakter des Quartiers.
Zudem erfüllen die Strassenräume des Viertels derzeit überwiegend dienende Verkehrsfunktionen. Der Liefer- und Parkverkehr, aber auch der ruhende Verkehr verstärkt die Atmosphäre eines introvertierten Binnenraumes, die für die Innenstadtlage des Viertels unangemessen bewertet wird.
Ziel
Hauptabsicht des Entwurfes zur Neugestaltung des Raiffeisen-Viertels in St. Gallen ist es, zukünftig eine einheitlich ablesbare und positive Identität innerhalb des Quartiers zu schaffen. Vorrangiges Ziel ist es dabei, die Aufenthaltsqualitäten zu stärken und erlebbar zu machen, um das Potential des Perimeters als hochwertiger Stadtraum auszuschöpfen. Zielsetzung ist es ebenso, durch die Neugestaltung der Öffentlichkeit ein Quartier zurückzugeben, das als städtischer Rest- und Verkehrsraum bislang in Vergessenheit geraten ist. So soll innerhalb des Raiffeisen-Viertels zukünftig der Mensch wieder im Vordergrund stehen.
Der Verkehr soll auf ein Mindestmass reduziert werden. So rückt die Absicht in den Vordergrund, einen einheitlichen und homogenen Quartierscharakter zu schaffen, der seinen Benutzern und Besuchern das Wohlgefühl eines beruhigten «öffentlichen Wohnzimmers» vermittelt, und zum Verweilen einlädt.
Der Härte und Zusammenhaltlosigkeit der teilweise eher abweisenden Räume stellt das Entwurfskonzept eine extrovertierte, einladende und weiche Atmosphäre entgegen, die sich konsequent in der Materialität und Formensprache aller vorgeschlagenen Detailmassnahmen niederschlägt.
Umsetzung
Zonierung
Gemäss den verschiedenen Nutzungsbereichen einer Lounge, wird das Quartier in Zonen gegliedert, die jeweils übergeordneten Funktionen wie Garderobe, Empfang, Business Lounge, Foyer etc. gewidmet sind. Trotz des übergeordneten Massnahmenkatalogs zur einheitlichen Umgestaltung des Quartiers werden vorhandene Merkmale von Teilräumen (z. B. Widmung von Aussenräumen zu angrenzenden Gebäuden, vorhandene Bäume, Zufahrten, Kunstwerke etc.) berücksichtigt. Die jeweils angewandten Detailmassnahmen zur Umgestaltung der Loungezonen variieren somit geringfügig von Zone zu Zone hinsichtlich der Situierung, Dichte und Ausstattung der zum Einsatz kommenden Elemente. Die Zonen bilden dabei untereinander fliessende Übergänge, so dass ein kontinuierlicher Stadtraum von einheitlichem Charakter entsteht.
Entwurfsidee: Lounge als «städtisches Wohnzimmer» – stadtlounge
Die Idee einer öffentlich betretbaren, «Lounge» bildet das Leitthema, um einen harmonischen und einheitlichen Raumeindruck innerhalb des Quartiers zu schaffen. Die Umgestaltung des Viertels zur einladenden Lounge bestimmt dabei die Identität des Quartiers, stellt aber auch einen quartierübergreifenden Anziehungspunkt dar. Die Belebung des Stadtraumes durch das Angebot von Aufenthaltsqualität bewirkt dabei eine Verzahnung mit benachbarten Vierteln. Das Raiffeisen Quartier öffnet sich somit nach Aussen, indem es die Stadtöffentlichkeit nach Innen in ein städtisches Wohnzimmer einlädt.
Die Empfangszone
Der Empfang bildet aufgrund der umliegenden Gebäude mit der Garderobezone einen zusammenhängenden Raum. Sitzgelegenheiten formulieren einen meeting point und bieten die Möglichkeit zu Gesprächen in kleineren Gruppen. Tagsüber eher als Aufenthaltsbereich und Treffpunkt den Angestellten und Besuchern des Bildungszentrums gewidmet, ist von hier aus das abendliche Ankommen und Verabschieden von Besuchern der «Lounge» zu beobachten.
Café
Das Café stellt mit seiner Bestuhlungsfläche im Aussenbereich ein Gelenk zum zentralen Bereich der Relax-Lounge dar.
Relax-Lounge
Als zentraler Bereich des Quartiers ist hier die grösste Aufenthaltsfläche situiert. Sitzgelegenheiten und Liegemöbel laden sowohl zur Versammlung als auch Entspannung ein und bieten hier diverse Blickachsen innerhalb des Quartiers. Bestehende Bäume fassen den Raum in der Mitte des Platzes zusätzlich. Der vorhandene Brunnen markiert weiterhin die Mitte des Platzes. Die veränderte Verkehrsführung schafft hier zusätzliche Fläche, da hier die stärkste Belebung zu erwarten ist, und der direkte Übergang in die südlich angrenzende Freibestuhlungsfläche des Cafés angestrebt wird.
Business Lounge
Der Ladehof des SVRB Neubaus wird mit Konferenztischen und zugehörigen Sitzgelegenheiten ausgestattet, um die Ausdehnung der Besprechungen auch auf den Aussenraum zuzulassen.
Skulpturenpark, Leseecke
Das bestehende Kunstwerk der Trafoeinhausung und die halbkreisförmige Tiefgaragenabfahrt erzeugen kleinräumige Resträume, die die Möglichkeit des Rückzuges bieten. Geschützte Bänke bilden Leseecken, die eine konzentrierte Vertiefung mit Lesestoff zulassen. Das Kunstwerk und das Funktionsbauwerk werden als raumbildende Skulpturen interpretiert und könnten durch spezielle Beleuchtung inszeniert werden. Kunst – und Funktionsbauwerke treten damit in einen gegenseitigen Dialog und differenzieren sich als «Skulpturenpark» gegenüber dem Stadtraum.
Foyerfläche Synagoge
Dem Bedürfnis der Synagoge nach zurückhaltender Repräsentanz im Stadtraum wird Rechnung getragen. Die Fläche vor dem Eingangsbereich wird somit der Synagoge gewidmet, der Bürgersteig verbreitert, aber nicht als Aufenthaltsraum mit Sitzgelegenheiten ausgestattet.
Street Lounge
Zwischen den Längsparkplätzen situierte «Sofas» markieren Aufenthaltsbereiche, die bewusst von der Relax- Lounge abgerückt sind. Als vereinzelte Eingriffe in den Strassenraum sind sie symptomatisch für den Entwurfsansatz, Orte zum Verweilen zu etablieren, die ursprünglich übersehen wurden. Der Mensch wird hier weniger abgestellt wie eine Auto, da er eine bewusste Wahl trifft, sich mit seinem Verweilen mit dem Ort auseinanderzusetzen.
Massnahmenkatalog
Teppich
Ein einheitlicher Bodenbelag bildet die Grundlage für die Neugestaltung und stellt die wichtigste Massnahme zur Homogenisierung des Quartiers dar.
Wie ein homogener Teppich im Innenraum eines Gebäudes schafft das Bodenmaterial mit seiner Farbigkeit eine einheitliche Fläche, die mit ihrer amorphen und weichen Materialhaptik einen Gegenpol zur harten Präzision der gebauten Umgebung bildet. Die Fussgänger- und Aufenthaltsbereiche sind dabei mit durchgefärbtem Gummigranulat beschichtet, wohingegen die Fahrspuren und Bewegungsflächen einen durchgefärbten Teerbelag von gleicher Farbe erhalten. Weiche, schwellenlose Übergänge anstatt scharfer Bordsteine zwischen Aufenthalts- und Fahrbereichen verwischen dabei die Grenzen zwischen beiden Flächenkategorien. Es entsteht ein optisch gleichmässiger Belag, der die Idee der Lounge atmosphärisch bis an die Fassaden der Gebäude heranträgt. Der Teppich seinerseits kehrt hier das Verhältnis von Innen und Aussenraum um, da die Aussenfassaden der Gebäude ebenso als Innenfassaden der Lounge interpretierbar sind. Die optische Unschärfe der Grenzen zwischen Aufenthalts- und Fahrbereichen und die Wertigkeit des Bodenbelages wirken dabei zugleich als psychologische Bremse für die Autofahrer, da die Aufmerksamkeit gegenüber den Fussgängern und das Bewusstsein für die eigene Geschwindigkeit verstärkt werden. Die Verlangsamung der Bewegungsströme durch die Sensibilisierung der Autofahrer ist dabei wiederum wesentliche Grundlage, die Aufenthaltsqualität im Aussenraum des Quartiers zu steigern. Die konkrete Umsetzung des Teppichs mittels Gummigranulat geschieht dabei in Anlehnung an das Material Filz, das als richtungs- und randloses Material, das an jeder Stelle geschnitten werden kann gilt, um präzise Kanten zum angrenzenden Bodenbelag der benachbarten Stadtquartiere auszubilden. Als Filzteppich wird er zudem zum omnipräsenten Träger von künstlerischen Interventionen und ist zugleich das Kunstprojekt selbst, da das Material in Analogie zum Filz «...theoretisch unendlich, offen und in allen Richtungen unbegrenzt; es hat keine Vorder- oder Rückseite und auch keinen Mittelpunkt;es verbindet nichts festes und Bewegliches, sondern breitet eher eine kontinuierliche Variation aus...» (Guattari & Deleuze: 1440 – das Glatte und das Gekerbte).
Der Bodenbelag der Fussgänger- und Aufenthaltsbereiche wurde von der Firma Müller AG aus St.Gallen realisiert. Als fugenloses, lärmdämmendes und ausserordentlich strapazierfähiges Belagsystem verfügt es über hohe Eigenelastizität und Resistenz gegen thermische Belastungen (Schnee, Frost, Hitze etc. ) und Tausalze. Der wasserdurchlässige und rutschfeste Belag wird als UV-beständiges Spezialgranulat aufgebracht und mittels lichtechtem Bindemittel gebunden, verdichtet und geglättet. Die darunterliegende Schicht ist Trag- und Entwässerungsschicht. Für die Möbelanwendungen im Aussenraum sind höhere Schichtdicken und unterschiedliche Dichtegrade erzielbar, um den unterschiedlichen Ansprüchen an Haptik und formaler Ausprägung zu entsprechen.
Als Referenzprojekt für die Belastbarkeit durch Fahrverkehr und Fussgänger und das Alterungsverhalten sei hier das Einkaufszentrum «Elephant» in Zürich genannt. So hat sich der Belag hier nach Aussage der Firma Walo seit ca. 20 Jahren selbst unter starker Beanspruchung bewährt.
Möblierung
Alle Möblierungselemente (Sitzgelegenheiten, Tische, Müllbehälter etc.) entwickeln sich als freie Formen aus dem Teppichbelag, so dass sich die einheitliche Oberfläche des Bodens wie ein Tuch über alle Möbel legt. Die angenehme Haptik des Gummimaterials bietet hier optimale Voraussetzungen, eine ebenso einladende weiche wie haltbare Oberfläche zu schaffen. Dabei werden die Formen der Möblierungselemente den jeweiligen Bedürfnissen der Loungezonen angepasst. Durch verschiedene Schichtdicken und Dichtegrade des Gummigranulats wird die Haptik entsprechend der jeweiligen Detailanwendung optimiert
Beleuchtung
Übergrosse, amorph geformte Leuchtkörper erzeugen sowohl das notwendige, wie auch das szenische Licht innerhalb des Quartiers. Dabei sind verschiedene Lichtszenen einstellbar, die an Jahres- und Tageszeiten, aber auch Events oder Belebungssituationen des Quartiers angepasst werden. In Höhe der Traufen werden die Leuchtkörper an Stahlseilen befestigt in den Strassenraum gespannt, wodurch sie den Raum nach oben fassen.
Innerhalb des Viertels werden sie als kontinuierlich wiederkehrende Körper gleichmässig verteilt. Weithin über die Blick- und Strassenachsen des Quartiers hinweg bilden sie ebenso wie der Bodenbelag die Loungeidee konsequent nach Aussen ab.
Strassenbeschilderung
Die existierende Strassenbeschilderung wird weitgehend beibehalten und nur in Teilbereichen der veränderten Verkehrsführung angepasst. Alle Schilder erfahren eine Veredelung hinsichtlich Ihrer Detailausbildung und den Einsatz von Edelstahl, um sie in den Gestaltungskanon der Lounge einzubeziehen. Zudem werden alle Schilder mit einer Sockelplatte versehen, die sie als transportable Elemente erscheinen lässt. Die Veredelung und der simulierte Eindruck der Mobilisierung festverankerter Beschilderungen ironisieren somit den bestehenden Schilderwald, machen diesen aber zugleich salonfähig.
Bepflanzung
Bestehende Bäume werden in das Gestaltungskonzept integriert. Zusätzliche Grossbäume im Bereich der Relax-Lounge sollen die Betonung der Mitte des Platzes unterstützen. Gleich den Möblierungselementen sind die Baum- und Pflanztröge als fliessend –weich geformte Aufkantungen des Bodenbelages ausgebildet. Kleinere Pflanztröge mit Kleingehölzen/Pflanzungen werden partiell zur Raumbildung innerhalb des gesamten Quartiers platziert.
Verkehrsführung
Um eine Beruhigung des Verkehrs und eine Verlangsamung der Bewegungsströme im Quartier zu erzielen, wird die Kreuzung zwischen Bleichestrasse und Schreinerstrasse aufgehoben, um die Zone der Relax-Lounge bis an die Nordfassade des SVRB Neubaus zu führen. Die Bleichestrasse wird entlang der Ostfassade des solitären SVRB Gebäudes nach Norden geführt, und bildet weiterhin eine Kreuzung mit der Frongartenstrasse und der Schreinerstrasse.
Der Autoverkehr aus der Tiefgaragen- und Hofausfahrt der GBS an der Schreinerstrasse wird weiterhin wie in jetziger Weise geführt. Lediglich die Längsparkplätze entlang der Schreinerstrasse sollen zugunsten eines vergrösserten Aufenthaltsbereiches vor der Ostfassade des SVRB Neubaus (Empfangszone und Freibestuhlungsfläche Café) aufgelöst werden, damit die auf die Gartenstrasse führende Einbahn-Fahrspur der Schreinerstrasse verschmälert werden kann.
Im Bereich der Synagoge (Frongartenstrasse) wird der Fahrbereich mit verminderten Abstand nahe an die gegenüberliegende Fassade des solitären SVRB Gebäudes verschoben, um einen verbreiterten Fussgängerbereich vor dem Haupteingang der Synagoge auszubilden.
Künstlerische Interventionen
Das Entwurfskonzept sieht keine Trennung zwischen künstlerischer Intervention und Stadtraumgestaltung vor. So verkörpert die Idee der Lounge die übergeordnete künstlerische Auseinandersetzung mit den Themen Stadtraum und Öffentlichkeit, aber auch mit den spezifischen Merkmalen des Ortes. Nicht zuletzt durch das dosierte Stilmittel der Ironie stellt sich das Konzept dabei stellenweise selbst in Frage. Besonders deutlich konkretisiert sich dies in den beiden Leitmassnahmen Beleuchtung und Bodenbelag, die omnipräsent in Erscheinung treten. Beide Gestaltungselemente sind sowohl als konkrete Umsetzung, als auch Träger des Kunstkonzepts interpretierbar, wobei alle verwendeten Elemente punktuell eine zusätzliche Aufladung mittels verschiedener Kunstinterventionen erfahren können. So können beispielsweise die Beleuchtungskörper auch als Projektionsfläche für Videobilder und der Bodenbelag mittels Intarsien, Bedruckungen etc. stellenweise erweitert werden. Die künstlerische Bearbeitung inhaltlicher Themen kann dabei als Subtext jederzeit und in verschiedenen «Darreichungsformen» in Erscheinung treten, um «eine Geschichte zu erzählen» und somit zum Verweilen in der Lounge einzuladen:
Klang- und Musikinstallationen als ein Medium des Subtexts, aber auch der Raumbildung auf einer sinnlichen Ebene sind ebenso denkbar wie vereinzelte Videoprojektionen als Mittel der Interaktion mit den umliegenden Fassaden. Auch permanente künstlerische Modifikationen mittels Leuchtschriften, Intarsien oder Bedruckungen der Gestaltungselemente wären innerhalb des Entwurfskonzepts umsetzbar. Das Loungekonzept könnte zudem eine Art Bühnenfunktion erfüllen, um Live-Darbietungen von Künstlern zu präsentieren, die im Rahmen eines zu definierenden nationalen Förderprogramms durch den Bund und/oder der Raiffeisenbank eingeladen werden.