Der Business-Lunch – Eile mit oder ohne Weile?

Unsere Jahresserie «Diagonal» geht in die zweite Runde: Im März unterhalten sich RUZ Experte und Geschäftsführer aus dem Waadtland Serge Ballesteros und Christoph Schumacher Geschäftsführer aus Zug über die Gestaltung der Mittagspause. Trinken die «Welschen» dabei wirklich ein paar Gläschen Wein und können die DeutschschweizerInnen nicht einmal in der Mittagspause von ihren Pendenzen absehen? Der HR-Experte Serge Ballesteros und der Agenturleiter Christoph Schumacher räumen in ihrer Folge von «Diagonal» mit den Klischees auf und gewähren auf humorvolle Art und Weise Einblick in ihren Unternehmeralltag.

Lieber Serge

 

Wie ist das eigentlich bei Euch in der Westschweiz? Stimmt es, dass da schon beim Mittagessen der erste Fendant / Chasselas getrunken wird? Ich schildere Dir hier mal, wie das bei uns so abläuft – und ich freue mich auf Deine Antwort!

 

Die Deutschschweizer und das Mittagessen – ja, an diesem Thema lassen sich einige kulturelle Eigenheiten ablesen. Es soll böse Zungen geben, die behaupten, der typische Deutschschweizer gehe mit einer Traktandenliste zum Mittagessen. Ich muss gestehen, ich habe das auch schon getan. Dies habe ich von meinem Vater gelernt, der für viele unserer privaten Treffen jeweils eine solche Liste erstellte. Lustig dabei war, dass die Themen darauf oft rein privaten Charakter hatten. Seine Traktandenliste wurde zu einem eigentlichen running gag, und ich spreche ihn heute noch gerne darauf an.

 

Du siehst – der Deutschschweizer Unternehmer liebt die Struktur und die Effizienz. Ja, es stimmt, das Mittagessen sollte bei uns schnell über die Bühne gehen, doch ich sehe je nach Region und Publikum eines Restaurants grosse Unterschiede. Handwerker und KMU-ler tendieren dazu, nach maximal einer Stunde fertig sein zu wollen. Auch Business-Meetings sind mittags oft kurz und strukturiert – es grüsst die Traktandenliste, auch wenn man sie nur im Kopf hat.

 

Während meiner Arbeit an der Universität Zürich hingegen beobachtete ich in den Restaurants der Zürcher Altstadt ein anderes Verhalten. Da wird gerne viel Zeit investiert, um vor und nach dem Essen ausführlich die Zeitung zu studieren oder in leicht philosophischen Gesprächen ein Thema intellektuell zu vertiefen. Da sind dann Mittagessen von 2 Stunden gar nicht so selten. Du siehst, der Fokus, den man bei seiner Arbeit hat – oder eben nicht hat – macht vielleicht sogar einen grösseren Unterschied aus als die sprachlich-kulturelle Prägung.

 

Ich persönliche liebe es, die Mittagspause mit möglichst langen Fussmärschen zu verbinden. Dabei höre ich gerne einen inspirierenden Podcast, denn auch der Geist braucht Nahrung. Manchmal aber gibt es Business Lunchs, die auch am Mittag auszuufern drohen. Dagegen gibt es einen bewährten Trick: Den Termin direkt danach. So kann man sich elegant verabschieden – und es gilt zu bedenken, sich rar zu machen kann für das Business manchmal sehr gut sein …

 

Wenn ein Thema aber eine besondere Aufmerksamkeit verlangt, wenn ich beispielsweise einen Kunden, sein Business und seine tiefen Bedürfnisse verstehen lernen möchte, dann wähle ich gerne ein Abendessen dafür aus. Da hat man Zeit, der Abend darf dann auch etwas länger dauern.

 

Was mich in unserem Gespräch besonders gefreut hat: Du hast Dich mit einem «bon appetit» verabschiedet, obwohl es noch nicht Mittag war – und da ist es wieder, dieses Bewusstsein für das Schöne und das Geniesserische im Leben. Dazu kann man euch nur gratulieren!

 

In diesem Geist und Sinne, herzliche Grüsse aus der Zentralschweiz, Christoph

* Aus dem Französischen übersetzt.

 

Hallo Christoph*

 

Was für eine Freude, von dir zu hören!

 

Zuallererst möchte ich auf deine Frage bezüglich unseres Alkoholkonsums zur Mittagszeit eingehen.

 

Da muss ich dich leider enttäuschen! Und wehre mich gegen diese falsche allgemeine Annahme ... Der Weisswein gehört bei uns zum Aperitif um elf Uhr! Na ja, manchmal, wenn eine Feier ansteht, auch schon um halb elf, aber nie um die Mittagszeit herum. Ausser natürlich, wenn wir eine Käseplatte oder köstlichen Fisch aus unseren Seen essen, da trinken wir schon mal ein Glas Weisswein zum Aperitif wie auch zum Essen, wobei wir gelegentlich die Erzeugnisse unserer wunderbaren weissen Rebsorten variieren.

 

Scherz beiseite, der Konsum von Alkohol zu den Mahlzeiten ist im Allgemeinen nur noch eine Anekdote, ebenso wie die ins Endlose ausgedehnte Mittagessen, da auch wir uns mehr und mehr schnell zubereiteten und schnell verzehrten Mahlzeiten zuwenden ... ob sie dann ausgewogen sind oder nicht. Denn die Zeit, die man mit Kollegen verbringt, steht der Freizeit mit seiner Familie oder sich selbst nicht mehr zur Verfügung. In meiner Position als HR-Experte, der auf psychosoziale Risiken und Gesundheit am Arbeitsplatz achtet, beobachte ich in unseren französischsprachigen Kantonen eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, und dies mit der klaren Absicht, dadurch mehr Freizeit zu haben. Eine ausgedehnte Mittagspause verlängert den Tag entsprechend. Wir neigen also dazu, so wenig Zeit wie möglich für das Essen aufzuwenden, oder sogar überhaupt keine Pause einzulegen und während des Arbeitens zu essen, was aber nicht gut für uns ist.

 

Ich habe festgestellt, dass die Deutschschweizer mehr arbeiten als wir: im Durchschnitt 41¾ bis 42 Stunden pro Woche, während wir frivolen Romands wöchentlich zwischen einer viertel und einer halben Stunde weniger arbeiten. Mit Ausnahme der Walliser, die sogar noch mehr arbeiten als ihr, und damit fröhlich den Schweizer Durchschnitt übertreffen. Aber ich lasse die Fasnachtszeit im Februar, die das Wallis vollkommen aus dem Takt bringt, jetzt mal unerwähnt ...

 

Genauer gesagt bevorzugen wir statt des gemeinsamen Abendessens, wie du es mit einem Kollegen oder einem Kunden zu tun pflegst, die sogenannte «Sandwich-Sitzung» von elf bis dreizehn Uhr beispielsweise, die eine Mahlzeit einschliesst, aber während der auch sehr ernsthaft gearbeitet wird, da dieser Zeitraum eindeutig als Arbeitszeit verstanden wird. Dies nicht etwa im «Freestyle» – wir arbeiten tatsächlich ... Und zwar so schnell wie möglich, aber so langsam wie notwendig, um immer Qualität zu liefern.

 

Weisst du, Christoph, bevor ich damals für kurze Zeit jenseits der Saane arbeitete, hatte man mir gesagt: Die sind steif, geizig, ernst und denken nur ans Arbeiten. Was die Arbeit anbelangt ... nun ja, das stimmt: Ihr denkt tatsächlich nur ans Arbeiten. Während ich dir diese Zeilen schreibe, erinnere ich mich gerne an mein halbes Jahr in Bern, wo die Tage von der Werkstattuhr strukturiert waren, so wie deine von den Familienmahlzeiten: methodisch ... unabänderlich ... Eine Struktur, an der nicht gerüttelt wird! Für ein halbes Jahr war ich fern der französischsprachigen Niederlassung, wo wir zu Musik arbeiteten, uns abstimmten, um gemeinsam in die Pause zu gehen und zwar je nach dem Arbeitspensum, das für uns oder die anderen gerade anstand. Und wenn sich die Pause dann um zwei oder drei Minuten verlängerte, so kompensierten wir das direkt.

 

Stell dir nur für einen Moment meine ersten Tage vor: Ein Büro und eine Werkstatt, in denen vor halb acht eine klösterliche Stille herrschte. Da arbeiteten wir, als ein einziger Mann und ohne ein Wort, bis neun Uhr.

Und dann ... ein Geräusch, das mich aufschreckte. Ein fast gutturaler Schrei des Werkstattleiters: «Pause!» Für fünfzehn Minuten ... Und nicht etwa vierzehn! Sechzehn? Was für eine Unverschämtheit! Oder siebzehn? Damit riskierte man das Schafott! Fünfzehn, und nur fünfzehn. Zur Mittagszeit dasselbe: Um Punkt 12 Uhr liessen wir alles stehen und liegen, gingen zum Mittagessen, kamen um 13 Uhr zurück und arbeiteten dann bis 17 Uhr. Für mich: ein Kulturschock.

 

Aber um eine Minute nach 17 Uhr verliessen wir gemeinsam das Unternehmen, um dann Abende zusammen zu verbringen, die alle bisher gehörten Klischees wettmachten. Während dieser Abende vor fünfunddreissig Jahren habe ich euch wirklich kennengelernt, beim gemeinsamen Kegeln in der Nachbarschaft und ausgiebigen Trinken eurer Stangen – was für schöne Erinnerungen!

 

Aber wir wissen ja, alles hat seine Zeit. In der Romandie wie auf der anderen Seite des Röschtigrabens dreht sich alles ums Tempo ... nicht zu schnell ... nicht zu langsam. Dazu kommen die vielen variablen Faktoren wie den Zeitraum, die Region, das Tätigkeitsfeld, den Grund für das Essen und natürlich den unberechenbarsten Faktor: das oder die Gegenüber. Auch wenn wir beim Essen (fast) nie über die Arbeit sprechen, siegen das Vergnügen und die entstandene Verbundenheit mitunter über die Vernunft ... und die Stempeluhr.

 

OK, Christoph, ich muss dich verlassen, die Ketchup-Mayo meines Triple-Cheesburger «Double Bacon» ist mir eben in die Tastatur getropft ... Aber falls du mal während der «trinkbaren» Stunden im RUZ in Yverdon vorbeischaust, dann lass es mich wissen. Mein Büro liegt nur zwei Gehminuten von da entfernt. Ich offeriere dir ein Glas Waadtländer Chasselas und weihe dich in die von uns Welschen so sorgfältig gepflegte Lebenskunst ein, die sich in Redewendungen wie «Eile mit Weile» niedergeschlagen hat oder auch im berühmten «quart d’heure vaudois», unserer tolerierten Viertelstunde Verspätung.

 

Serge

RUZ Deutschschweiz

The Circle 66, 8058 Zürich-Flughafen

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