UnternehmerInnen-Nachwuchs: Ein Blick der aufstrebenden Generation auf das Schweizer Unternehmertum
Berufsziel JungunternehmerIn: Ist es für Junge heute attraktiv ins Unternehmertum einzusteigen? Welche Parallelen und Unterschiede gibt es zwischen der Deutsch- und Westschweiz (und kommt es überhaupt darauf an)? Yael Peccatus (20), Jungunternehmer aus Lausanne, der mit 18 sein eigenes Unternehmen gründete und Richard Schäli (14), der in seinem siebten Lebensjahr seine erste Aktie gekauft hat, blicken gemeinsam, ehrlich und ungefiltert auf das Schweizer Unternehmertum.
Lieber Yael
Die neuen Generationen werden in der Deutschschweiz oft als unproduktiv, nicht motiviert oder gar «verloren» verrufen. Dies sehe ich in einem anderen Licht. Mit der Industrialisierung und nochmals angeheizt durch die Interkonnektivität erwartet die Gen-Z bis 2035 eine 45 Stunden Woche. Als Referenz: Jäger und Sammler arbeiteten damals etwa drei Mal kürzer. Das bildet ein Bedürfnis: Finanzielle Freiheit, sein eigener Chef sein und sich die Zeit selbst einteilen können. Mit anderen Worten: Unternehmertum.
Die Generation Z ist in einem Zeitalter der Interkonnektivität aufgewachsen. Soziale Medien wie Instagram, TikTok und YouTube erreichen täglich hunderttausende von Schweizer*innen und können so eine Nachricht heraustragen.
Leute kommen so zusammen und bilden eine Bewegung (Black Lives Matter und die Gamestop Saga sind nur wenige Beispiele davon). Aber was bedeutet das konkret für das Schweizer Unternehmertum?
Die bereits erwähnte Interkonnektivität führt dazu, dass die Leute schneller eine Stimme bekommen können und so selbstbewusster werden, eine Bewegung zu starten. Hier in der Deutschschweiz nehme ich gerne das Beispiel eines wegen der Pandemie ums Überleben kämpfenden Schaffhauser Süsswarenladen, der dank eines TikTok Videos in 3 Tagen einen Monatsumsatz erzielen konnte.
Personen der Gen-Z werden ermutigt unternehmerisch aktiv zu sein, denn auf einmal sind die nötigen Mittel für jeden verfügbar. Jeder, der eine Vision hat, kann in wenigen Stunden durchstarten: Laptop auf, Website erstellen, Social-Media-Kanäle eröffnen und los geht’s! Natürlich ist es in der Praxis ein wenig schwieriger, jedoch sind Dinge viel einfacher zu erreichen als in Zeiten vor dem Internet.
Ein Schulkamerad konnte so zum Beispiel ein Reselling Business starten, indem er limitierte Sneaker Editionen bei Release kaufte und anschliessend direkt oder über die Plattform Stockx diese zu einem teureren Preis verkaufte. Über Kanäle wie Instagram konnte er für seine Produkte werben.
Diese neuartige Consumer to Consumer (C2C) Beziehung die auf Plattformen wie Fiverr, Stockx, Shopify oder allgemein im Social E-Commerce zu finden ist, ermöglicht den Leuten erstmals, ihr Hobby unternehmerisch auszuführen.
Obwohl die Schule der nötigen Förderung für unternehmerische Tendenzen noch weit hinterherhinkt, hat das Internet bereits unzählige Plätze geschaffen, an denen man sich über ein Thema informieren und austauschen kann.
Genau diese neuen Möglichkeiten schaffen die Grundlagen für eine der Unternehmerfreudigsten Generationen: Der Gen-Z. Jetzt würde mich die Sicht aus der Westschweiz interessieren. Yael was meinst du zu meiner These?
Richard Schäli
Lieber Richard
Mein Name ist Yael und ich wohne in Lausanne. Ich interessiere mich für das Unternehmertum, seit ich 16 Jahre alt bin. Wie dein Freund habe auch ich mit dem Weiterverkauf von Turnschuhen begonnen und war überrascht von der Schlagkraft der sozialen Netzwerke, um Kunden zu erreichen.
Es stimmt, dass uns die digitalen Werkzeuge unserer Generation ermöglichen, unsere Projekte mit einem Klick zu realisieren und Tausende von Kunden mit ein paar Posts oder Videos zu erreichen. Dennoch ist Vorsicht geboten, denn hinter diesem Eindruck der Leichtigkeit sind die Regeln der guten Unternehmensführung unverändert geblieben.
Ich musste mit der Firmengründung warten, bis ich 18 Jahre alt war, und konnte mich erst dann mit zwei Freunden zusammenschliessen, um MEMORIESTORE.CH, unseren Onlineshop für personalisierbare Kleidung, zu lancieren und unser erstes Geschäft in der Innenstadt von Lausanne zu eröffnen. Die Leute waren überrascht, aber wir wollten beweisen, dass eine neue Generation von Geschäften durchaus möglich ist und den Onlineverkauf ergänzt. Unser Geschäft «Memories Store» hat das Ziel, junge Leute, Künstler aller Art (Rapper, Designer ...) und Modebegeisterte zusammenzubringen, indem wir lokale urbane Mode anbieten und viele künstlerische Partyanlässe organisieren. Natürlich nutzen wir die sozialen Netzwerke, um unsere Community auszubauen.
Die Erfahrungen mit unserem Unternehmen haben mir in erster Linie dazu verholfen, mich selbst zu entdecken und Selbstvertrauen zu gewinnen, und zwar indem ich gelernt habe, was meine Werte sind, was ich akzeptiere bzw. nicht akzeptiere und was ich will. So kann ich nun Entscheidungen treffen, die mir entsprechen und mich glücklich machen.
Es wird oft gesagt, dass die jungen Menschen in der Schweiz nicht nach Unternehmertum streben, aber es wird ihnen auch nicht erklärt, warum oder wie man ein Unternehmen gründet oder übernimmt. In der französischsprachigen Schweiz gibt es das Programm «Graines d'Entrepreneurs», das Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren in den Schulen die Methoden zur Gründung von Start-ups vermittelt. Lustigerweise hatten einer meiner Partner und ich unabhängig voneinander dieses Programm absolviert, bevor wir uns kennenlernten. Auch heute gehen wir weiterhin von Zeit zu Zeit ins Büro des Programms, um uns mit anderen Unternehmern der Region auszutauschen und vom Coaching zu profitieren.
Wenn ich anderen jungen Leuten, die ihr eigenes Unternehmen gründen möchten, einen Rat geben müsste, so würde ich auf das Befolgen gewisser Schritte hinweisen. Zunächst ist es wichtig herauszufinden, wer man ist, welche Stärken und Schwächen man hat, was man will und was einen glücklich macht. Nur so kann man später mit Menschen zusammenarbeiten, die zur eigenen Person passen und sie ergänzen. Weiter muss es einem gelingen, sich selbst einen Arbeitsrahmen zu schaffen, um die eigene Effizienz zu erhöhen und eine gute Balance zwischen Familie, Freizeit, Freunden und Arbeit zu erlangen. Der Arbeitsrahmen und die Balance sind nicht einfach zu finden und aufrechtzuhalten. Ich selbst bin immer noch auf der Suche nach einigen Anpassungen. Schliesslich empfehle ich: Holt euch Hilfe bei den administrativen und finanziellen Belangen. Lebt bescheiden, um so viel Geld wie möglich für zukünftige Entwicklungen oder Eventualitäten wie die Corona-Pandemie zur Seite legen zu können. Da wir jung sind, ist unser Finanzbedarf viel geringer, und das ist ein nicht zu vernachlässigender Vorteil.
Yael Peccatus