Viel mehr als ein Trend: Nachhaltige Finanzen
Nachhaltige Geldanlagen boomen. Sabine Döbeli, CEO von Swiss Sustainable Finance, zeigt auf, welche Themen nachhaltigen Anlegerinnen und Anlegern derzeit unter den Nägeln brennen. Und sie erklärt, warum nichts an maximaler Transparenz für Investoren vorbeiführt.
In der Schweiz hat sich das Volumen nachhaltiger Fonds in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. Bleibt dieser Trend?
Sabine Döbeli: Lassen Sie es mich so formulieren: Nachhaltige Geldanlagen sind kein Trend. Die Finanzdienstleistungen haben sich schlicht weiterentwickelt, aufgrund der massiven globalen Herausforderungen. Entsprechend werden nachhaltige Anlagen weiterwachsen und mittelfristig zum Normalfall werden.
Mit den massiven globalen Herausforderungen meinen Sie die Klimakrise.
Der Klimawandel ist sicher zentral, ja. Und damit hängen viele andere Themen zusammen: Wasserknappheit zum Beispiel oder der Rückgang der Biodiversität. Beides wird an verschiedenen Orten auf der Welt immer spürbarer und es besteht akuter Handlungsbedarf. Die Finanzindustrie ist ein wichtiges Rad im System, um dagegen anzugehen: Anlegerinnen und Anleger können in Unternehmen investieren, die sparsam mit Wasser und schonend mit den natürlichen Ressourcen umgehen. Ebenso wichtig ist es aber, auf eine Veränderung in denjenigen Unternehmen hinzuwirken, die noch nicht am Ziel sind. So funktioniert nachhaltiges Investieren: durch die Förderung wirtschaftlicher Tätigkeiten, die bereits heute oder künftig einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten.
«Nebst Klimarisiken rücken auch soziale Faktoren zunehmend in den Anlage-Fokus.»
Gibt es weitere thematische Brennpunkte für nachhaltige Anlegerinnen und Anleger?
Soziale Faktoren rücken aktuell verstärkt in den Anlage-Fokus. Man hat erkannt: Die Klimakrise kann nur überwunden werden, wenn auch damit verbundene soziale Probleme gelöst werden. Deshalb werden auch Themen wie Armutsbekämpfung oder Gender-Gerechtigkeit immer wichtiger für Investoren. Dazu zählen nicht nur private Anlegerinnen und Anleger, sondern auch immer mehr institutionelle Investoren wie zum Beispiel Pensionskassen oder Versicherungen.
Gut zu wissen
Sustainable Finance
Nachhaltigkeit gewinnt nicht nur bei Geldanlagen an Bedeutung – das Thema greift verstärkt auch auf zwei weitere Geschäftsbereiche der Finanzindustrie über: das Hypothekargeschäft für Privatkunden und die Firmenfinanzierung. «Zinsverbilligte Hypotheken als Anreiz für nachhaltiges Bauen zum Beispiel werden zwar schon länger angeboten, sie erfahren aber immer grössere Nachfrage», sagt Sabine Döbeli, CEO von Swiss Sustainable Finance. Bei der Vergabe von Unternehmenskrediten sei Nachhaltigkeit ein eher neues Kriterium. «Aktuell diskutieren die Banken intensiv darüber, wie sie Firmen und Hauseigentümer auch aktiv dabei beraten können, ihre nachhaltige Ausrichtung zu steigern», sagt Döbeli.
Sind nun bald alle Geldanlagen nachhaltig?
Nein, es wird immer auch Investorinnen und Investoren geben, die nicht auf Nachhaltigkeit fokussieren möchten. Was aber bei 100 Prozent der Finanzprodukte zum Standard werden wird: die Berücksichtigung von ESG-Kriterien bei der Finanzanalyse. Die Abkürzung «ESG» steht dabei für Kriterien aus den Bereichen Umwelt (Environment), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance). Auf diese Weise werden Unternehmen ausgewählt, die für die Zukunft gut aufgestellt sind. Damit verbessern sich die Renditechancen im Verhältnis zu den Risiken. Die Motivation ist also finanziell und nicht in erster Linie ethisch begründet.
«Die Banken suchen verstärkt den Dialog mit den Unternehmen, statt diese einfach auszuschliessen – eine gute und richtige Entwicklung.»
Und welche Finanzprodukte eignen sich für Anlegerinnen und Anleger mit besonderem Interesse an Nachhaltigkeit?
Das kommt ganz auf das konkrete Bedürfnis an: Möchte jemand aktiv etwas bewirken, eignen sich Geldanlagen, die auf eine Veränderung hinwirken und die den sozialen oder ökologischen Nutzen messen und ausweisen. Möchte eine Person hingegen auf keinen Fall in die Kohleindustrie investieren, sind es Finanzprodukte, die diesen Wirtschaftszweig explizit ausschliessen. Allerdings suchen die Banken gemäss unseren Studien verstärkt den Dialog mit Unternehmen, statt diese einfach auszuschliessen – eine gute und richtige Entwicklung, wie ich finde.
Gut zu wissen
Nachhaltiges Anlegen ist nicht gleich nachhaltiges Anlegen
Wie genau fliessen nun ökologische und soziale Aspekte in die Anlageentscheidungen? Über die Zeit wurden unterschiedliche Ansätze entwickelt, die grob unterteilt drei unterschiedlichen Zwecken dienen:
- Gewisse Ansätze zielen insbesondere auf eine Verbesserung des Rendite-/Risikoverhältnisses im Vergleich zu konventionellen Anlagen ab. Investorinnen und Investoren können von finanziellen Vorteilen profitieren.
- Andere Ansätze verfolgen über eine finanzielle Rendite hinaus einen starken ökologischen oder sozialen «Impact». Die Anlagen im Portfolio tragen etwa zu einer bestimmbaren CO2-Reduktion bei oder schaffen lokale Arbeitsplätze.
- Eine dritte Gruppe von Ansätzen sind besonders darauf ausgerichtet, die persönlichen Werte der Anlegerin oder des Anlegers abzubilden und meiden daher zum Beispiel kritische Industrien wie die Öl- und Kohleenergie, Rüstungsgüter oder Glücksspiel.
Die persönliche Motivation bestimmt also die passende Geldanlage.
Warum eine gute Entwicklung?
Der Welt ist besser gedient, wenn nicht nur in Unternehmen investiert wird, die bereits grün ausgerichtet sind – und ohnehin schon über genügend Kapital verfügen. Für meine Begriffe ist es ebenso wichtig, Unternehmen auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu unterstützen und eine entsprechende Verhaltensänderung aktiv einzufordern.
Braucht es regulatorische Veränderungen, um das zu erreichen?
Die Swiss Climate Scores des Bundes sind zwar freiwillig, fordern aber mehr Transparenz zur Klimaverträglichkeit von Anlagen ein: Sie zeigen nicht nur auf, wie gut Unternehmen bezüglich Klimaschutz heute schon aufgestellt sind, sondern auch, wie stark sich Unternehmen in einem Portfolio zu Veränderung bekennen. Die Regulierung der EU hingegen fördert primär Anlagen in Unternehmen, die schon grün sind. Dennoch: Mit ihrem Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums hat die EU ein grosses Regulierungspaket aufgelegt, das dem Thema europaweit zu mehr Bedeutung verholfen hat und auch Offenlegungspflichten für Vermögensverwalter beinhaltet. Diese wirken sich auch auf die Schweiz aus.
«Ein standardisiertes Nachhaltigkeitsrating wird es nie geben. Das wäre auch gar nicht sinnvoll.»
Einheitliche regulatorische Standards für die Bestimmung von Nachhaltigkeit fehlen aber nach wie vor. Wann kommen diese?
Gar nicht. Zwar wird es künftig mehr Regeln geben, um die Nachhaltigkeitsleistung oder die Wirkung von Finanzanlagen zu erfassen und besser vergleichbar zu machen. Dabei wird es aber immer regionale Unterschiede geben. Auch ein standardisiertes Nachhaltigkeitsrating wird es nie geben. Das wäre auch gar nicht sinnvoll.
Wieso?
Nachhaltigkeit hat eine ökologische, soziale und eine ökonomische Dimension. Wie nachhaltig ein Unternehmen wirtschaftet, ist also relativ – je nach Fokus und Gewichtung der verschiedenen Dimensionen. Dabei spielen auch Werte eine wichtige Rolle.
Andererseits lassen uneinheitliche Standards Raum für «Greenwashing» – dabei werden Geldanlagen grüner dargestellt, als sie in Wirklichkeit sind. Was ist die Lösung?
Maximale Transparenz. Anlegerinnen und Anleger müssen zwei Fragen ganz konkret beantwortet bekommen: Welches Ziel verfolgt ein Fonds? Und wie konsequent ist die Umsetzung? Weder die EU-Regularien noch freiwillige Standards haben bisher die nötige Klarheit gebracht. Es besteht also noch Handlungsbedarf. Künftig braucht es ein transparenteres Reporting der Banken über die Nachhaltigkeit ihrer Produkte. Ausserdem: innovative Ansätze, um die Wirkung einer Investition ganz konkret messbar zu machen.
Sabine Döbeli
CEO Swiss Sustainable Finance
Sabine Döbeli ist CEO des Vereins Swiss Sustainable Finance. Zuvor war sie bei Vontobel für die Koordination von Nachhaltigkeitsthemen auf Gruppenebene und die Entwicklung nachhaltiger Anlagedienstleistungen verantwortlich. Sabine Döbeli hat einen Master in Umweltwissenschaften der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und absolvierte ein Nachdiplomstudium in Betriebswirtschaft und Marketing an der Universität Basel.