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Massiver Sanierungsstau beim Stockwerkeigentum

Die Hochschule Luzern hat gemeinsam mit Praxispartnern die finanzielle Seite von Er-neuerungsvorhaben von Eigentümergemeinschaften betrachtet und nach innovativen Finanzierungsmodellen gesucht.

Rund 40 Prozent des landesweiten Energiekonsums entfallen auf den Gebäudepark. Bei Wohn- und Nichtwohngebäuden besteht denn auch ein grosser Hebel zur Senkung des Verbrauchs und zur Erreichung der langfristigen Klimaziele. Gemäss den Energieperspektiven 2050+ des Bundesamts für Energie soll der Gebäudesektor bis 2050 mit markant weniger Energie auskommen, nämlich 65 TWh gegenüber 90 TWh im Jahr 2019. Um diese Herkulesaufgabe zu meistern, braucht es energetische Sanierungen im grossen Stil: Über eine Million Gebäude sind nicht oder kaum gedämmt und damit dringend sanierungsbedürftig. Kommt hinzu, dass zwei Drittel der Häuser noch immer fossil oder elektrisch beheizt werden. Rund ein Prozent des Gebäudebestands wird aktuell jedes Jahr energetisch saniert. Um die klimapolitischen Ziele der Schweiz zu erreichen, muss das Sanierungstempo verdoppelt werden. 

 

Eine Frage der Finanzierung

Die Ursachen des zunehmenden Sanierungsstaus im Stockwerkeigentum liegen meist in der mangelnden langfristigen strategischen Planung der baulichen Massnahmen und der Finanzierung. Die Federführung bei der Untersuchung hatte das HSLU-Institut für Architektur. Als Praxispartner beteiligt waren der Verband Casafair Schweiz, der Schweizer Stockwerkeigentümerverband, die VIO Treuhand AG und die IMMO-Support GmbH. Das Projekt wurde vom BFE unterstützt. Der Fokus der Forscherinnen und Forscher lag auf der Frage der Finanzierung von Sanierungen im Stockwerkeigentum. Stockwerkeigentümergemeinschaften können hierbei in der Regel auf einen Erneuerungsfonds zurückgreifen, den sie mit monatlichen Einzahlungen äufnen. «Mit dem Erneuerungsfonds stehen zwar Mittel für werterhaltende und mitunter auch wertsteigernde Massnahmen an der gemeinsam bewohnten Immobilie zu Verfügung, allerdings zeigt die Erfahrung, dass die monatlichen Beiträge zu tief sind und damit oft deutlich zu wenig Mittel zur Verfügung stehen», sagt Projektleiter Thomas Heim. Nach früheren Erhebungen in der Agglomeration Luzern werden jährlich im Durchschnitt 0,25 Prozent des Gebäudeversicherungswerts zurückgelegt – deutlich weniger als die 0,8 Prozent, die oft als Richtwert allein für werterhaltende Massnahmen der gemeinschaftlichen Teile genannt werden.

Stockwerkeigentum, wie man es aus den Verkaufsprospekten kennt ...
...doch früher oder später steht die Sanierung an.

Bestehende und neuartige Finanzierungen

In den vergangenen Jahren dürfte die Bereitschaft zur finanziellen Vorsorge zusätzlich gedämpft worden sein, denn die zurückgelegten Gelder brachten keine Zinsen, oder es wurden sogar Negativzinsen fällig. Auch wenn in Zukunft wieder Zinsen auf Rücklagen erzielt werden, stehen nicht automatisch genügend Mittel für energetische Sanierungen bereit. Vor diesen Hintergrund hielten die Forschenden Ausschau nach Finanzierungsmöglichkeiten von  Erneuerungsmassnahmen unter Einbezug bestehender und alternativer Finanzierungsmodelle. Dafür untersuchten sie bestehende Finanzierungsmodelle und erarbeiteten anhand von Anwendungsbeispielen Lösungen, die geeignet sind, allfällige Finanzierungslücken zu schliessen. Als «Königsweg» für die Finanzierung einer energetischen Sanierung sieht das Studienteam einen hinreichend geäufneten Erneuerungsfonds. Da diese Fonds «sehr häufig bzw. sogar mehrheitlich » unterdotiert sind, werden mit Blick auf eine Sanierung oft die Einzahlungen erhöht, oder es wird eine Sonderzahlung vereinbart, falls die einzelnen Eigentümer dazu in der Lage sind. Reichen die Mittel auch so nicht aus, können einzelne, finanzstarke Stockwerkeigentümer der Gemeinschaft ein Darlehen gewähren, das später mit Zins an die Geldgeber zurückbezahlt wird. «Je nach Sanierungsmassnahme bedarf es eines Mehrheitsentscheids der Eigentümer, und dieser ist nicht immer leicht herzustellen», sagt Thomas Heim. «Alternative Finanzierungsmodelle könnten helfen, gemeinschaftlich getragene Sanierungslösungen zu finanzieren.»

 

Geld von der Bank

Ein anderer Weg zur energetischen Sanierung – bisher noch selten praktiziert – führt über ein Bankdarlehen an die Stockwerkeigentümergemeinschaft. Da es sich um eine Risikofinanzierung handelt, ist die Darlehensvergabe der Bank mit Auflagen verbunden und im Einzelfall zu prüfen. Die Studienautoren nennen als Beispiel eine Liegenschaft mit 26 Wohnungen im Kanton Aargau: Das Dach war früher bereits saniert worden, jetzt aber werden für die Erneuerung von Fassade, Liftanlagen, Elektroinstallationen und Treppenhäusern gut 1,1 Millionen Franken benötigt, wobei im Erneuerungsfonds nur 400.000 Franken bereitstehen. Mit Darlehen einer Bank (620.000 CHF) und einer Privatperson (100.000 CHF) werden die erforderlichen Mittel beschafft. Die finanzstärkeren Eigentümer hatten die Aufnahme des Darlehens zunächst abgelehnt, lenkten aber ein, weil sich dank des geliehenen Geldes eine etappierte Sanierung mit Mehrkosten von bis zu 250.000 Franken vermeiden liess. Zudem lockten Steuervorteile dank der Abzugsfähigkeit des Bankdarlehens (wobei hier kantonale Unterschiede zu beachten sind). «Bei einer Verbreitung des  Finanzierungsmodells von Darlehen an Stockwerkeigentumsgemeinschaften könnten Finanzierungsinstitute künftig an einer Weiterentwicklung zu einem Standardprodukt interessiert sein, aufbauend auf dem Angebot der  Fremdfinanzierung von Sanierungen an Stockwerkeigentümergemeinschaften durch die Raiffeisenbank St. Gallen», vermutet das Studienteam.

 

Staatliche Anreize gefragt

Um ein solch komplexes Vorhaben umzusetzen, braucht es einen Investor, der im Idealfall neben der Entwicklung der Aufstockung oder des Anbaus auch die Sanierung übernimmt. Das Studienteam der Hochschule Luzern ortet hier ein erfolgversprechendes Finanzierungsmodell, das zudem das Potenzial habe, «die Hürde der Einstimmigkeit bei der Erneuerung von Liegenschaften im Stockwerkeigentum zu überwinden». Damit solche Sanierungen künftig umgesetzt werden, braucht es nach Ansicht des Studienteams Anreize: So könne die Partei, die ihre Dachterrasse aufgrund einer Aufstockung verliert, zum Beispiel durch eine angemessene Entschädigung für das Sanierungsprojekt gewonnen werden oder ein attraktives Vorkaufsrecht der neu geschaffenen Wohnungen erhalten. Ferner wird angeregt, Gemeinden könnten Aufstockungen oder Anbauten finanziell fördern. Neben der Finanzierung von Sanierungen sind Instrumente gefragt, um die Transparenz betreffend den Zustand von Bestandsliegenschaften zu erhöhen. Das Studienteam greift dafür einen früheren Vorschlag zur Schaffung eines Unterhalts- und Erneuerungslabels auf: «Das Label würde bestätigen, dass eine aktuelle Erhaltungsstrategie vorliegt. Um die Aktualität der Erhaltungsstrategie zu gewährleisten, wäre eine periodische Rezertifizierung erforderlich. Das Label würde nicht nur Projektentwicklern und zukünftigen Käuferinnen und Käufern von Stockwerkeigentum als Qualitätssiegel dienen, sondern böte auch bestehenden Stockwerkeigentümern Transparenz und Sicherheit bei ihren Beschlüssen und Entscheiden zur Finanzierung von Erneuerungsmassnahmen.»

 

Lanfristig planen

Die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer steht in der Verantwortung für den Werterhalt und ggf. für die Wertvermehrung ihrer Immobilie. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist eine vorausschauende Planung unabdingbar hält der Schlussbericht des Projekts fest: «Es braucht für den Erneuerungsfonds (ebenso wie auch für die anderen Finanzierungsmöglichkeiten) zwingend eine entsprechende strategische Langzeitplanung der Erneuerung, die eine regelmässige Überprüfung der anstehenden Unterhalts- und Erneuerungsarbeiten umfasst.» Der  Verwaltungsvertrag stelle eine wichtige Grundlage dar, um den Fokus auf eine langfristige Unterhalts-, Erneuerungs-und Finanzierungsplanung zu legen.

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