Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen
Ausgabe 18.12.2024
Fredy Hasenmaile
Raiffeisen Chefökonomen
Wirtschaftsausblick 2025
Ein ereignisreiches 2024 neigt sich dem Ende zu. Die wirtschaftliche Bilanz fällt besser aus als befürchtet. Trotz Kriegen in Europa und im Nahen Osten und trotz historisch hoher Leitzinsen zu Jahresbeginn hat sich die Weltwirtschaft erstaunlich resilient gezeigt. Kaum ein Land ist in die Rezession gerutscht, obwohl die Industrieflaute länger andauert, Impulse fehlen und die politische Unsicherheit stetig steigt. Besonders bemerkenswert ist, dass die Arbeitslosenraten in Europa und den USA trotz einer graduellen Abkühlung der Arbeitsmärkte nahezu auf Rekordtief verharrten. Viele Ökonomen und Ökonominnen hatten infolge der kräftigen Zinserhöhungen der Zentralbanken mit einer stark steigenden Arbeitslosigkeit gerechnet. Eine gewichtige Rolle scheint dabei die demografische Entwicklung zu spielen. So sieht sich etwa Europa seit gut zehn Jahren mit einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung (15–64-Jährige) konfrontiert. Ein Trend, der sich in den kommenden Jahren noch akzentuieren und den Fachkräftemangel verschärfen wird.
Die USA bleiben die Wachstumslokomotive
Die Weltwirtschaft wird 2025 weiterhin von zwei auseinanderlaufenden Entwicklungen geprägt. Zum einen kommt die globale Industrie nicht aus der Stagnation heraus, während der Dienstleistungssektor weiterhin zulegen dürfte. Zum andern vertieft die Wahl von Donald Trump die konjunkturelle Kluft zwischen den USA und der Eurozone. Der klare republikanische Wahlsieg hat die Stimmung bei den amerikanischen Unternehmen und Konsumenten und Konsumentinnen aufgehellt. Investitionen, die vor den Wahlen aufgrund von Unsicherheiten über den Wahlausgang zurückgehalten wurden, werden nun ausgelöst und dürften die Risiken einer Konjunkturabschwächung in den USA eingrenzen. Europa kommt dagegen nicht aus dem Stottern heraus. Die zahlreichen Ankündigungen von Werkschliessungen und Stellenstreichungen, vornehmlich von automobilnahen Industriebetrieben, drohen die Hoffnungen auf einen konsumgetriebenen Aufschwung zu zerstören. Zwar führen sinkende Inflationsraten zu wachsenden Reallohngewinnen, aber aufgrund der sich eintrübenden Stimmung nicht zu mehr Konsum. Kaum wurden in den Konsumdaten vom Herbst erste Auftriebstendenzen sichtbar, fiel das Konsumentenvertrauen in der Eurozone im November wieder unter das Langfristmittel. Auch aus China, das stark mit hausgemachten Problemen beschäftigt ist, sind keine nennenswerten Wachstumsimpulse zu erwarten.
Chemie/Pharma als Rückversicherung der Schweiz
Auch in der Schweiz bleibt die Industrie die Achillesferse der Konjunktur. Für ein Anziehen der Auftragseingänge sehen wir noch immer keine Anzeichen. Die schwache Industrienachfrage aus der EU, insbesondere aus Deutschland, senkt die Kapazitätsauslastung der hiesigen Produktionsbetriebe und schlägt immer mehr auf die Margen durch. Je grösser derzeit die Exportabhängigkeit einer Branche von Deutschland ist, umso negativer fällt das Exportwachstum der letzten 12 Monate aus. Darunter dürften die Ausrüstungsinvestitionen leiden, für die wir für 2025 praktisch nur ein Nullwachstum erwarten. Als eine der wenigen Branchen kann sich hingegen die boomende Chemie- und Pharmabranche dem negativen Sog entziehen. Beflügelt von strukturellen Trends und wenig beeinflusst von der Frankenstärke hat diese Schweizer Paradebranche, die mittlerweile für mehr als 40 Prozent aller Exporte verantwortlich ist, dem Exportsektor 2024 zu einem Wachstum verholfen und sie dürfte auch im Jahr 2025 für ein ansprechendes Exportergebnis der Gesamtwirtschaft sorgen.
Moderates BIP-Wachstum
Während die US-amerikanische (Fed) und die europäische Zentralbank (EZB) weiterhin mit vergleichsweise hohen Inflationsraten konfrontiert sind, ist in der Schweiz das Umgekehrte der Fall. Die Teuerungsraten liegen auf sehr tiefem Niveau und dürften 2025 nur noch wenig über einer Nullteuerung liegen. An den Kapitalmärkten sind die Langfristzinsen in der Schweiz deshalb viel stärker gesunken als in den USA oder in der Eurozone. Das dürfte über geringere Kreditkosten für Unternehmen, Mietende und Wohneigentümer und -eigentümerinnen dem Konsum in der Schweiz 2025 Rückenwind verleihen – zusätzlich zu den ansehnlichen Reallohnzuwächsen, die, aufgrund einer Inflation momentan nahe Null, zu erwarten sind. Dank dieser aufgehellten Konsumaussichten dürfte die Schweiz gemäss unseren Erwartungen im nächsten Jahr, nach rund 1 Prozent 2024, ein leicht höheres BIP-Wachstum von 1,3 Prozent erzielen. Das moderate, aber weiterhin unterdurchschnittliche Wachstum der Schweiz sollte somit dasjenige der Eurozone auch 2025 übertreffen. Aufgrund von verschleppten Strukturreformen, Überregulierungen sowie wachsender politischer Instabilität ist die Eurozone ins Hintertreffen geraten. Da die beiden grössten Volkswirtschaften Europas aktuell über keine handlungsfähigen Regierungen verfügen, fallen sie bis auf weiteres als Motoren für strukturelle Reformen weg. Dies schiebt eine mögliche Gesundung von Europa nochmals länger nach hinten. Von einer Aufbruchstimmung ist aktuell keine Spur zu sehen. Die Risiken zeigen weiterhin nach unten. Eine mögliche Verschärfung der US-Zollpolitik stellt für die labile Eurozone ein erhebliches Konjunkturrisiko dar. Zudem droht die Industrie in eine Abwärtsspirale zu geraten. Die Probleme Europas schlagen sich in einer nachhaltig schwächeren Verfassung der Gemeinschaftswährung nieder.
Frankenstärke und Zinssenkungen prägen 2025
Damit ist auch keine Umkehr der Frankenstärke im kommenden Jahr in Sicht, die die exportorientierten Industrieunternehmen zusätzlich unter Druck setzt. Da die EZB nun wegen der ausgeprägten Konjunkturschwäche in der Eurozone schnellere und weitergehendere Zinssenkungen vornehmen dürfte, bleibt der Schweizerischen Nationalbank kaum eine Alternative als ebenfalls ihren Leitzins noch weiter Richtung Null zu senken. Nur so kann sie den Zinsabstand gegenüber der Eurozone wahren und den Aufwertungsdruck auf den Franken in Schach halten. Die schwindende Zinsdifferenz sowie die Inflationsdifferenzen allein vermögen die gegenwärtige Überbewertung des Frankens jedoch nicht zu rechtfertigen. Die Unsicherheit scheint ebenfalls einen nicht unwesentlichen Anteil an der Frankenstärke zu haben. 2025 dürfte aber die Unsicherheit ein treuer Begleiter der Weltwirtschaft bleiben. Allein der Faktor Trump dürfte einem Abbau der globalen Verunsicherung im Wege stehen.
Auch wenn die Schweiz damit 2025 die Kluft zum Potenzialwachstum noch nicht zu schliessen vermag, bilden eine tiefe Inflation, niedrige und weiter sinkende Zinsen sowie ein moderates Wachstum keine allzu schlechten Rahmenbedingungen für ein gedeihliches wirtschaftliches Agieren im neuen Jahr.
Schöne Weihnachtszeit!
Fredy Hasenmaile
Raiffeisen Chefökonom
Seit 2023 ist Fredy Hasenmaile Chefökonom von Raiffeisen Schweiz und Leiter des Economic Research der Bank. Er analysiert mit seinem Team die globalen und Schweizer Wirtschafts- und Finanzmarktentwicklungen und ist für die Einordnung des Wirtschaftsgeschehens sowie die Prognose von wirtschaftlichen Schlüsselkennzahlen verantwortlich.