Er ist Psychologe und Neurowissenschaftler. Dieses Wissen nutzt Benjamin Bargetzi, um Unternehmen bei der Digitalisierung zu unterstützen. Im Interview erklärt er, warum das menschliche Gehirn der digitalen Transformation oft im Weg steht und was Führungskräfte tun können, um ihre Mitarbeitenden zu motivieren.
Für eine erfolgreiche Digitalisierung brauchen KMU vor allem die richtige Technologie. Wahr oder falsch?
Ganz klar falsch. KMU können noch so gute Technologien einkaufen: Wenn sie nicht wissen, für welche Use Cases sie diese brauchen und die Mitarbeitenden nicht motiviert sind, diese Technologien auch wirklich einzusetzen, gehen die Prozesse garantiert schief.
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Wieso?
Meine Erfahrung aus dem Beratungsalltag zeigt: Ob die Mitarbeitenden an ein Projekt glauben oder nicht, ist der entscheidende Erfolgsfaktor. Stellen Sie sich vor, ein Unternehmen kauft ein teures Tool ein – aber niemand nutzt es. Ein denkbar ungünstiges Szenario. Neue Technologien sind wie Saatgut: Sie können erst dann gedeihen, wenn der Nährboden – die Firma – gut vorbereitet ist. Ist der Boden noch nicht bereit, nutzt auch das beste Saatgut nichts. Trotzdem werden die Angestellten in Digitalisierungsprozessen oft nicht richtig mitgeplant.
Warum ist das so?
Das ist historisch bedingt. Mitarbeiterorientiertes Denken ist noch relativ jung. Ich bin von Haus aus Psychologe und weiss: In der Psychologie geht es erst seit ein paar Jahrzehnten darum, Menschen nicht nur zu heilen, sondern auch aufzubauen. Das kann man auf die Wirtschaft übertragen: Für viele Unternehmen ist der Einbezug und die Motivation der Mitarbeitenden noch immer zweitrangig. Sie stecken im Produktionsmodus fest. Heute erwarten Mitarbeitende und Kunden aber, dass man sie ernst nimmt und auf sie eingeht.
Mit welchen Konsequenzen für die Digitalisierung?
Studien besagen, dass bis zu 90 Prozent der Digitalisierungsprojekte nicht den erwarteten Gewinn bringen. Als Grund wird oft der Faktor Mensch genannt: Beispielsweise, weil IT- und Salesteams nicht gut zusammenarbeiten, Mitarbeitende den Glauben an das Projekt verlieren oder die Führungsetage nicht die nötige Unterstützung liefert. Hinzu kommt: Vernachlässigen Unternehmen diese Faktoren, hemmen sie auch Initiativen aus dem eigenen Betrieb. Die Mitarbeitenden trauen sich nicht, von ihren Ideen zu erzählen.
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Wie können KMU ihre Leute ermutigen?
Bei meinem ehemaligen Arbeitgeber Google hat die Belegschaft einen Tag pro Woche Zeit, selbständig an innovativen Projekten statt am Hauptjob zu tüfteln. Selbstverständlich ist das für viele KMU nicht einfach so machbar. Aber auch sie könnten ihren Mitarbeitenden vielleicht eine Stunde in der Woche geben, um die Digitalisierung voranzutreiben – etwa, um zu überlegen, welche Prozesse veraltet sind und welche Pain Points man allenfalls technisch lösen könnte. Es geht darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der jede gute Idee zählt – egal von wem. Zudem sollten Fehler erlaubt, ja, sogar willkommen sein. Solange man sie nicht zweimal macht, sondern etwas daraus lernt.
Was ist noch wichtig, um die Mitarbeitenden für die Digitalisierung zu motivieren?
Regelmässige Kommunikation. Dabei müssen KMU die Ängste und Widerstände ihrer Angestellten ernst nehmen und glaubwürdig sein. Die Präsentation konkreter Zahlen und Fakten schafft zum Beispiel Sicherheit. Chefinnen und Chefs, die sich etwas mit dem menschlichen Gehirn auskennen, sind im Vorteil.
Sie sind auch Neurowissenschaftler. Klären Sie mich auf.
Unser Hirn verarbeitet nur zwei bis zehn Prozent der täglichen Informationen bewusst und rational. Der Rest landet im Unterbewusstsein – die Folge sind automatisierte Reaktionen. Der steinzeitliche Teil unseres Gehirns ist aufs Überleben ausgelegt. Sprich: Er reagiert schnell auf emotionale Reize wie Angst. Chefinnen und Chefs sollten also darauf achten, so klar und glaubwürdig zu kommunizieren, dass die Informationen im bewussten Denken der Mitarbeitenden ankommen. Ansonsten werden sie schnell von uralten, irrationalen Entscheidungstendenzen, sogenannter Cognitive Biases (kognitive Verzerrungen), gelenkt.
«Wir verarbeiten nur zwei bis zehn Prozent der täglichen Informationen rational.»
Benjamin Bargetzi, Europe Top30 Keynote Speaker und CEO Bargetzi & Company Group
Was können solche Biases sein?
Zum Beispiel Verlustaversion (Loss Aversion): Menschen haben von Natur aus mehr Angst vor Verlusten als Hoffnung auf Gewinn. Sie entscheiden sich deshalb eher für die sichere Option. Das behindert Unternehmen natürlich bei Innovationen.
Weil Chefinnen und Chefs zu zögerlich sind?
Genau. Durch die Aversion vor Verlusten gehen ihnen womöglich grosse Chancen durch die Lappen. Führungspersonen sollten sich deshalb immer fragen: Woher kommen meine Gedanken? Finde ich ein Digitalisierungsprojekt wirklich unnötig oder habe ich bloss Angst, Geld zu verlieren? Verstehe ich das Konzept vielleicht nicht richtig? Es gibt aber noch unzählige andere Biases. Chefinnen und Chefs müssen sich bewusst sein: Jeder fünfte ihrer Gedanken ist fehlerhaft. Sie tun deshalb gut daran, bei Entscheidungen immer zwei bis drei weitere Personen hinzuzuziehen. Und zwar am besten solche, die nicht genau gleich ticken wie sie selbst.
Mehr von Benjamin Bargetzi?
Benjamin Bargetzi gilt als einer der Top30 erfolgreichsten Keynote Speakers Europas und ist international als Neurowissenschaftler, Tech-Investor, KI-Experte und Experte für Change Management & Innovation bekannt. Er studierte und forschte in den Bereichen Neurowissenschaften und Psychologie an weltführenden Universitäten in Oxford, London, Singapur und Zürich, bevor er dann in leitenden Positionen für Google und Amazon arbeitete. Heute ist er CEO und Gründer einer Schweizer Software-Firma, welche für verschiedenste Firmen hochqualitative KI-Lösungen programmiert und gleichzeitig das Unternehmen und die Führungsebene holistisch durch die Transformation begleitet.