Als wissenschaftlicher Leiter der Nasa erforschte Thomas Zurbuchen jahrelang das Weltall. Heute treibt er die Raumfahrt an der ETH Zürich voran. Im Interview spricht er über New Space und erklärt, warum die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie so wichtig ist.
Von Washington, D.C., nach Zürich: Seit August 2023 sind Sie Professor für Weltraumwissenschaft und -technologie an der ETH Zürich. Welche Rolle spielt der Forschungsstandort Schweiz für die Raumfahrt?
Thomas Zurbuchen: Die Schweiz ist in verschiedenen Nischen unglaublich gut, zum Beispiel in der Entwicklung von Weltrauminstrumenten. Die Massenspektrometer der Universität Bern etwa kommen bald auf dem Jupitermond Europa und auch auf unserem Mond zum Einsatz, um Oberflächenproben chemisch zu analysieren. Bern ist hier eine der führenden Organisationen weltweit. Die ETH Zürich wiederum hat eine Spitzenposition in Seismologie und die Universität Genf in Astronomie. Aber auch bei der Raumfahrttechnologie ist die Schweiz eine wichtige Partnerin: Keine Rakete, die in Europa startet, fliegt ohne Nutzlastverkleidung aus der Schweiz. Diese schützt die Fracht beim Start.
Wie wichtig ist das Schweizer Bildungssystem für diesen Erfolg?
Sehr wichtig. Die Schweiz hat nicht nur hervorragende Universitäten und technische Hochschulen, sondern auch die Schweizer Berufslehre, etwa zur Schweisserin oder zum Schweisser. Die Leute hier wissen, wie man so etwas wie aerodynamische Schutzhüllen baut. Auch bei unserem neuen «Specialised Master in Space Systems» an der ETH Zürich spielt Praxis eine grosse Rolle: Die Absolventinnen und Absolventen erhalten das Know-how, Robotiksysteme zu realisieren oder Erdbeobachtungsdaten zu analysieren.
«Die Schweiz hat nicht nur hervorragende Universitäten und technische Hochschulen, sondern auch die Schweizer Berufslehre.»
Thomas Zurbuchen, ex Wissenschaftsdirektor der NASA (2016-2022), heute Professor an ETHZ
Im Oktober 2024 führt Raiffeisen zusammen mit Branchengrössen wie Prof. Thomas Zurbuchen, Dr. André Wall (Beyond Gravity) und Prof. Claude Nicollier (EPFL, ehem. Astronaut) einen exklusiven Event zum Thema durch.
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Der Praxisbezug ist also zentral. Wie steht es um den konkreten Einbezug von Unternehmen?
Im Space-Bereich der ETH arbeiten wir eng mit der Industrie zusammen und entwickeln Systeme gemeinsam mit Unternehmen und rund 70 Start-ups. In der Schweiz gibt es neben den etablierten Firmen wie der Ruag-Tochter Beyond Gravity, die besagte Nutzlastverkleidungen herstellt, unglaublich spannende Raumfahrt-Pioniere. Zum Beispiel das EPFL-Spin-off Clear Space, das Weltraumschrott einsammelt, oder das Start-up Swiss to 12. Dieses entwickelt Technologien für die Funkkommunikation von Kleinsatelliten.
Was ist mit New Space gemeint?
Warum ist die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Privatwirtschaft so wichtig?
Unternehmen leisten essenzielle Übersetzungsarbeit: Sie machen neue Erkenntnisse und Entwicklungen, die an Universitäten und Hochschulen entstehen, erst nutzbar. Unternehmen skalieren Lösungen viel schneller und besser als Regierungen, denn sie sind durchlässiger und agiler. Voraussetzung ist natürlich, dass die Bildungsstätten ihre Forschungsergebnisse mit den Unternehmen teilen.
«Unternehmen skalieren Lösungen viel schneller und besser als Regierungen.»
Thomas Zurbuchen, ex Wissenschaftsdirektor der NASA (2016-2022), heute Professor an ETHZ
Was braucht es ausserdem, damit in der Raumfahrt Innovationen entstehen? Oder anders gefragt: Was sind die idealen Rahmenbedingungen für New Space?
Das Silicon Valley ist ein gutes Vorbild: Es ist dicht besiedelt. Die Leute verschiedenster Unternehmen, aber auch Hochschulen begegnen sich zwangsläufig und können so voneinander lernen. Ein solches Ökosystem braucht auch die Schweiz, am besten mit gratis Büroräumen und Steuervorteilen. Hier gibt es bereits gute Beispiele, etwa das Trust Valley für Cybersicherheit am Genfersee. Um New Space zu fördern, braucht es aber noch etwas anderes: vereinfachte Visabedingungen für Ausländerinnen und Ausländer, die hier doktoriert haben. Ein Blick in die USA zeigt: Zwei Drittel aller milliardenschweren Firmen, die in den letzten zehn Jahren entstanden, wurden von Ausländern gegründet. Elon Musk ist ursprünglich Südafrikaner.
Auf in den Orbit: Thomas Zurbuchen, Jahrgang 1968, wuchs am Thunersee auf und studierte in Bern Physik und Mathematik. Ende der 90er provierte er in experimenteller Astrophysik und anschliessend als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die University of Michigan. 2016 wurde er Forschungsleiter der Weltraumbehörde Nasa. 2023 kehrte er in die Schweiz zurück und übernahm die Leitung des Space Centers der ETH Zürich. Seine aktuelle Mission: Die Zusammenarbeit zwischen Akademie, Industrie und Start-ups fördern.