«Das Smartphone wird verschwinden»
Die Digitalisierung hat unser Leben grundlegend verändert. Zukunftsforscherin Karin Frick macht sich Gedanken, was alles noch auf uns zukommt. Ein Gespräch über smarte Assistenten, virtuelle Displays und den Wert von Bargeld in digitalen Zeiten.
Was ist die Digitalisierung – Fluch oder Segen?
Karin Frick: Ganz klar ein Segen. Die Pandemie hätten wir ohne die Digitalisierung niemals so gut bewältigen können. Das Internet hat uns neue Freiheiten gebracht. Wir sind unabhängig geworden von Ort und Zeit. Der Preis dafür ist eine hohe Abhängigkeit von der technischen Infrastruktur.
Vor gut zehn Jahren wurde die Digitalisierung zum Megatrend. Entspricht die Gegenwart Ihren damaligen Erwartungen an die Zukunft?
Technisch haben wir heute die Lösungen, die ich erwartet habe. Unser Leben ist weitgehend digitalisiert. Das Smartphone ist die wichtigste Schnittstelle zur digitalen Welt – vom Kind bis zur Seniorin. Ich hätte mir jedoch erhofft, dass die Digitalisierung mehr Demokratie und Vielfalt bringt. Dem Internet wurde lange das Potenzial zugesprochen, Minderheiten eine Stimme zu geben und Diversität zu fördern. Stattdessen haben sich die bestehenden Machtstrukturen eher noch gefestigt.
«Digitale Assistenten werden die Suchmaschinen verdrängen.»
Welche Veränderungen erwarten uns in den nächsten zehn Jahren?
Die Technologie nimmt uns zunehmend Entscheidungen ab. Digitale Assistenten werden die Suchmaschinen verdrängen. Statt uns selbst einen Weg zu suchen, erhalten wir künftig eine fixfertige Lösung. Gesundheits-Apps liefern uns schon heute ein massgeschneiderte Ernährungs-, Bewegungs- und Entspannungsprogramme. Das lässt sich auf andere Bereiche übertragen – Mobilität zum Beispiel.
Wie funktioniert massgeschneiderte Mobilität?
In Zukunft bekommen wir nicht nur den Fahrplan, sondern ein komplettes Programm. Der smarte Assistent macht uns Empfehlungen für das optimale Verkehrsmittel, die schnellste Route und interessante Zwischenstopps.
Wie kaufen wir im Jahr 2050 ein?
Das meiste dürfte dann automatisierte Versorgung sein: Unsere Kühlschränke füllen sich selbstständig auf. Der Laden hat 2050 vielleicht eine ähnliche Funktion wie das Theater heute. Fast die gesamte Unterhaltung hat sich auf digitale Kanäle verlagert und doch gibt es immer noch kulturelle Veranstaltungen. Der Detailhandel könnte sich ähnlich entwickeln. Die Filialen sind künftig nicht mehr der entscheidende Verkaufskanal – und doch hängen die Menschen am analogen Marktplatz.
Auch in der Finanzindustrie verliert die Filiale an Bedeutung. Wie sieht die Bank der Zukunft aus?
Bill Gates hat einmal gesagt: «Banking ist essenziell, Banken nicht.» Das gilt je länger je mehr. Der Bankschalter wird weiter an Bedeutung verlieren und es geht letztlich nur um die Beratungsdienstleistung. Diese kann, wenn sie komplexer ist, von einem Menschen erbracht werden, und wenn sie weniger komplex ist, auch von einer Maschine.
Die Pandemie hat unsere Zahlungsgewohnheiten verändert. Was schätzen Sie: Wann wird kein Papiergeld mehr gedruckt?
Banknoten wird es noch länger geben als viele glauben. Bargeld wird als Zahlungsmittel zwar immer unwichtiger, aber es wird als Wertaufbewahrungsmittel weiterhin Bestand haben. Elektronische Zahlungen sind zudem weniger anonym und immer vom Netz abhängig. Bargeld hingegen funktioniert unabhängig von der Infrastruktur – selbst in der Wüste oder wenn der Akku leer ist. Das ist ein Wert, den digitale Zahlungsmittel bisher noch nicht bieten können.
Wie entwickeln sich die digitalen Zahlungsmittel weiter?
Das Bezahlen mit dem Smartphone wird sich durchsetzen. Debit- und Kreditkarten brauchen wir deshalb bald nicht mehr. Aber die Zahlungsinfrastruktur dahinter benötigen wir weiterhin. Wie dieses System in Zukunft aussieht, muss erst noch ausgehandelt werden. Vielleicht ist es eine Blockchain, aber wer betreibt diese? Vermutlich sind das weiterhin die heutigen Anbieter, weil es für neue Player schwierig sein dürfte, die bestehenden globale Netzwerke auszuhebeln. Und auch das Vertrauen der Bevölkerung spielt eine wichtige Rolle.
«Langfristig werden wir von den Geräten wegkommen. Alles wird sich noch stärker virtualisieren.»
Bleibt das Smartphone das Universalgerät oder kommt bald etwas Neues auf uns zu?
Es muss etwas Neues kommen. Jedes Produkt hat einen Lebenszyklus und wird irgendwann von einem neuen verdrängt. Auch das Smartphone wird verschwinden, soviel ist sicher. Die Frage ist: Verteilt es sich auf verschiedene Geräte wie Uhren, Brillen und Hörgeräte? Oder gibt es vielleicht virtuelle Interfaces, die uns zum Beispiel hier auf dem Tisch ein Hologramm zeigen? Langfristig werden wir von den Geräten weggkommen. Alles wird sich noch stärker virtualisieren.
Wird in letzter Konsequenz unser Gehirn die Schnittstelle zur Technologie?
Daran wird bereits gearbeitet. Durch die klinischen Versuche, die dafür nötig sind, wird es bis zur Marktreife noch eine Weile dauern. Aber in 15 bis 20 Jahren könnte das bereits Mainstream sein.
«Entweder/oder» mit Karin Frick
Bitcoin oder Schweizer Franken? Wir haben Karin Frick vor die Wahl gestellt: Im Video entscheidet sich die GDI-Zukunftsforscherin spontan zwischen Begriffspaaren aus der Finanzwelt.
Karin Frick
Leiterin Research und Mitglied der Geschäftsleitung des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI)
Karin Frick ist Leiterin Research und Mitglied der Geschäftsleitung des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) in Rüschlikon. Sie ist in Liechtenstein aufgewachsen und befasst sich seit ihrem Studium an der Universität St. Gallen (HSG) mit Zukunftsthemen, gesellschaftlichem Wandel und Innovation. Die Ökonomin leitet den Think Thank des GDI und referiert regelmässig über Trends und Gegentrends in Wirtschaft und Gesellschaft.