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China – Erwacht der Drache?

Angesichts diverser geldpolitischer Stimulusmassnahmen haben die chinesischen Aktienmärkte zu einem Höhenflug angesetzt. Aufgrund der strukturellen Probleme im Reich der Mitte dürfte es sich allerdings bloss um ein Strohfeuer handeln.

Drache aus Rauch

Ausgabe 31.10.2024

Trotz Kursfeuerwerk liegen chinesische Aktien im Hintertreffen

Plus 33% in sechs Handelstagen. Die Rede ist nicht von einem Penny Stock, sondern vom chinesischen Leitindex CSI 300. Trotz des Kursfeuerwerks Ende September hinkt der chinesische Aktienmarkt dem Weltaktienindex seit Anfang 2021 aber noch immer deutlich hinterher.

 

Entwicklung des CSI 300, des SPI und des MSCI World Index, in CHF und indexiert 

Entwicklung des CSI 300, des SPI und des MSCI World Index, in CHF und indexiert

Quellen: Bloomberg, Raiffeisen Schweiz CIO Office

China ist die Nation der Sparerinnen und Sparer

Der Hauptgrund für das schwache Abschneiden ist der Immobiliencrash im Reich der Mitte. Die Häuserpreise sind seit April 2022 kontinuierlich gefallen und liegen im landesweiten Schnitt mittlerweile rund 20% unter den Höchstständen. Das Platzen der Immobilienblase hat mannigfache Auswirkungen. Mit Evergrande, Country Garden und Fantasia Holdings gerieten gleich drei grosse Immobilienentwickler in Schieflage und mussten teilweise ihre Bilanzen deponieren. Dies wiederum führte bei den Geschäftsbanken zu grösseren Kreditverlusten. Da rund ein Viertel der chinesischen Wirtschaft direkt oder indirekt vom Bau- und Immobiliensektor abhängig ist, hat sich der Abschwung auch am Arbeitsmarkt bemerkbar gemacht. Insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die im August auf 18.8% gestiegen ist, stellt für die Regierung in Peking eine wachsende sozialpolitische Gefahr dar. Hinzu kommt, dass die meisten Chinesinnen und Chinesen den mit Abstand grössten Teil ihres Vermögens in die eigene Immobilie investiert haben. Nicht zuletzt aufgrund mangelnder Anlagealternativen galt Betongold als sichere Wertanlage. Die Preiskorrektur hat zu einem negativen Vermögenseffekt geführt und als Reaktion darauf ist die Sparquote im Reich der Mitte weiter angestiegen. Vom verfügbaren Einkommen legen Chinesinnen und Chinesen fast 45% auf die hohe Kante – ein Wert, der selbst «Sparnationen» wie die Schweiz (19.4%) und Deutschland (10.4%) in den Schatten stellt.

 

Sparquoten der Haushalte, in % des verfügbaren Einkommens

Sparquoten der Haushalte, in % des verfügbaren Einkommens

Quellen: OECD, Weltbank, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Durch die erhöhte Sparquote sollen die Wertverluste bei den Immobilien aufgefangen werden, denn wirtschaftlich befindet sich China in einer klassischen Bilanzrezession. Und diese erweisen sich in der Regel als sehr hartnäckig. Anschauungsunterricht gibt es am Beispiel Japan. Dort platzte Anfang der 1990er-Jahre eine gigantische Immobilienblase, womit das Land der aufgehenden Sonne fast ein Jahrzehnt zu kämpfen hatte. Der Nikkei Index verlor bis Mitte 1992 rund 50% an Wert. In Japan herrschte Deflation und die Wirtschaft stagnierte.

Es ist klar, dass die chinesische Regierung eine solche Entwicklung mit allen Mitteln verhindern will. Entsprechend gab die chinesische Notenbank (PBoC) seit Ende September diverse Massnahmen bekannt, um der lahmenden Wirtschaft unter die Arme zu greifen. Die Leitzinsen wurden drastisch gesenkt, den Banken wird zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt und Immobilienkäufer müssen beim Kauf von Wohneigentum weniger Eigenkapital hinterlegen. Gleichzeitig stellt die Regierung neue fiskalpolitische Massnahmen und Investitionsprogramme in Aussicht, um den Konsum anzukurbeln. Der Kurssprung an der Börse widerspiegelt die Hoffnung der Marktteilnehmer, dass sich die Wirtschaft im Reich der Mitte damit nachhaltig stabilisieren lässt.

Die stark wachsende Staatsverschuldung limitiert den fiskalpolitischen Spielraum

Ob sich diese Hoffnung erfüllt, bleibt indes fraglich. Erstens lassen sich Bilanzrezessionen mit geldpolitischen Massnahmen nur sehr bedingt bekämpfen. Dafür bräuchte es primär eine Erholung des Konsums. Eine effektive Möglichkeit wäre eine Senkung der Einkommens- und Konsumsteuern. Doch in dieser Beziehung ist der Spielraum limitiert. Die Verschuldung des Zentralstaats beläuft sich aktuell auf rund 88% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und wird in den kommenden Jahren stark ansteigen. Hinzu kommen hohe Schuldenberge der Provinzen und der vom Staat kontrollierten Unternehmen.

 

Entwicklung der Staatsschulden Chinas im Verhältnis zum BIP

Entwicklung der Staatsschulden Chinas im Verhältnis zum BIP

Quellen: Statista, Raiffeisen Schweiz CIO Office

Ein weiteres Risiko für China liegt in den US-Wahlen. Sollte Donald Trump gewählt werden, ist mit einer Verschärfung des Handelskonflikts und zusätzlichen Strafzöllen zu rechnen. Trump hat in seinem Wahlprogramm Importzölle von 10% auf sämtliche Güter angekündet. Mit einer expliziten Ausnahme: Bei chinesischen Produkten sollen die Strafzölle satte 60% betragen. Sollte es dazu kommen, würde das die chinesische Exportwirtschaft zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt treffen.

Dem Kursfeuerwerk an den chinesischen Aktienmärkten dürfte so oder so bald die Luft ausgehen. Die strukturellen Probleme im Reich der Mitte lassen sich nicht so rasch beheben. Die demografische Entwicklung sowie das Fehlen von existenzsichernden Kranken- und Rentenversicherungen haben zur Folge, dass die Sparquoten hoch bleiben werden. Zudem führen die Deglobalisierungstendenzen zu einer Verlagerung der Industrieproduktion. Auch dies wird China als Werkbank der Welt zu spüren bekommen. Entsprechend ist das Wachstumsziel der Regierung von derzeit 5% pro Jahr kaum haltbar. Aus Anlegersicht ist somit gegenüber China weiterhin Vorsicht angezeigt. Denn der Drache bleibt angeschlagen.

Der CIO erklärt: Was heisst das für Sie als Anleger?

Eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. Das gilt auch für China. Zwar hat die chinesische Zentralbank Ende September eine ganze Reihe von geldpolitischen Unterstützungsmassnahmen bekanntgegeben, um der lahmenden Wirtschaft unter die Arme zu greifen. Damit allein lässt sich die vorherrschende Bilanzrezession aber nicht beheben. Um die Wirtschaft in Schwung zu bringen, müsste der Konsum belebt werden. Zwar verfügen die Chinesinnen und Chinesen über hohe Ersparnisse, der Grossteil davon wird aber als Altersvorsorge auf die Seite gelegt. Hinzu kommt, dass die Immobilienpreiskorrektur einen stark negativen Vermögenseffekt ausgelöst hat. In dieser Situation sind Zinssenkungen nur bedingt wirksam. Wie heisst es so schön: «Man kann das Pferd zwar zur Tränke führen, aber trinken muss es selbst.» Aus Anlegersicht gibt es derzeit interessantere Aktien als die chinesischen. Wer trotzdem mit einer Konsumbelebung im Land des Drachens rechnet, kann auf europäische Luxusgüteraktien setzen. Diese gibt es derzeit zu Ausverkaufspreisen.

Matthias Geissbühler Portrait

Matthias Geissbühler

Chief Investment Officer Raiffeisen Schweiz

Seit Januar 2019 ist Matthias Geissbühler als Chief Investment Officer (CIO) von Raiffeisen Schweiz für die Anlagepolitik verantwortlich. Zusammen mit seinem Team analysiert er kontinuierlich die weltweiten Geschehnisse an den Finanzmärkten und entwickelt die Anlagestrategie der Bank.

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