Im Zentrum der Raiffeisen Nachfolgestudie steht ein Thema, um das gerne einen Bogen gemacht wird: Emotionen. Studienautor Christian Sonderegger und RUZ-Nachfolgebegleiter Massimo Lecci berichten im Interview von den Zielen der Studie, von überraschenden Erkenntnissen und vom Wert der Ergebnisse für die Praxis.
Es gibt bereits zahlreiche Studien zur Unternehmensübergabe. Warum hat Raiffeisen jetzt eine eigene Nachfolgestudie in Auftrag geben?
Christian Sonderegger: Um eine Lücke zu schliessen. Es gibt sehr viele Studien, die den Prozess der Unternehmensübergabe abbilden, Zahlen und Fakten zu Familiennachfolge, Management-Buy-Out oder externem Verkauf liefern. Das bringt Unternehmer aber nicht unbedingt weiter. Eine Studie, welche auch weniger greifbare Themen wie persönliche Unsicherheiten oder Überforderung ins Zentrum rückt, gab es bisher nicht. Übermässige Emotionen gehören in der Unternehmerwelt nach wie vor zu den eher schwierigen Themen, die man gerne ignoriert.
M.L.: Natürlich kommen Fragen wie «Wann ist der richtige Zeitpunkt, um die Nachfolge anzusprechen?» und «Mit wem spreche ich am besten darüber?» auf. Und: «Sollte ich nach dem Verkauf noch im Unternehmen involviert sein?» Andere Studien befassen sich meist mit der Zahl und Grösse der betroffenen Unternehmen oder mit den betroffenen Branchen. Wie diese Phase aus Sicht der Unternehmerinnen und Unternehmer abläuft, wird jedoch kaum thematisiert.
An wen richtet sich die Studie?
Ch.S.: Die Studie richtet sich primär an Unternehmer, die sich in nächster Zeit mit dem Thema Nachfolge auseinandersetzen. Ich hoffe, dass sie dank der Studie schon früh erkennen, dass nicht nur Verträge, finanzielle und rechtliche Fragen auf sie zukommen werden, sondern auch persönliche und zwischenmenschliche Themen, die eine enorme Sprengkraft besitzen und den Prozess ganz schön lähmen können. Sie ist aber sicher auch hilfreich für Unternehmer, die bereits mitten im Prozess stecken.
M.L.: Leider haben wir es immer wieder mit Unternehmern zu tun, die erst nach mehreren gescheiterten Übergabeversuchen erkennen, dass sie bei diesem Prozess Hilfe brauchen. Unsere Studie kann dazu beitragen, dass sie dies schnell erkennen und sich frühzeitig Unterstützung holen.
Unterstützung beiziehen – ist das eine der Kernbotschaften der Studie?
M.L.: Unternehmer wenden sich fast immer an ihre Treuhänder, um den Wert ihres Unternehmens ermitteln zu lassen. Diese verfügen zwar über die Fachkompetenz, um die Bewertung auszuführen, decken aber selten die anderen Aspekte der Nachfolge ab. Die RUZ-Nachfolgebegleiter unterstützen Unternehmer in allen Phasen des Nachfolgeprozesses. Sie organisieren und begleiten Gespräche mit der Familie oder mit den betroffenen Mitarbeitenden speziell rund um emotionale und zwischenmenschliche Themen.
Was bringt die Studie für die Praxis?
M.L.: Die Studie bietet eine Reihe nützlicher und konkreter Orientierungshilfen. Wir wollen Unternehmer so früh wie möglich auf die Realität der Nachfolge vorbereiten. Der Prozess kann eine Fülle von Emotionen auslösen. Wenn diese «überkochen», können sie die gesamte Übergabe gefährden. Die Studie zeigt ganz klar, dass sich die meisten Unternehmer häufig überfordert fühlen und eine Begleitung absolut notwendig ist.
Unternehmer lernen also lieber von anderen Unternehmern?
M.L.: Sie legen in der Tat viel Wert auf Erfahrungsberichte anderer Unternehmer, die «dieselbe Sprache wie sie sprechen». Das ist auch eine der Stärken dieser Studie: Sie beruht auf ehrlichen und direkten Aussagen, in denen sich Unternehmer meist wiedererkennen.
Ch.S.: Das war mir ein wichtiges Anliegen. Die Unternehmer sollen sich abgeholt fühlen und wissen: Sie stehen mit ihren Erlebnissen nicht alleine da, anderen Unternehmern ging es genau gleich. Und die Studie soll vermitteln, dass es auch uns als Bank nicht nur um Zahlen und Fakten geht, sondern um den Menschen.
Was hat Sie an den Resultaten überrascht?
Ch.S.: Mich hat schon überrascht, wie lange Unternehmer versuchen, den Nachfolgeprozess rational anzugehen, ihre Beweggründe zu erklären, ihr Verhalten mit Argumenten zu stützen. In den Gesprächen hat sich gezeigt, dass sie erst spät merken, wie stark die Emotionen bereits unter der Oberfläche köcheln. Sobald man aber den einen «wunden Punkt» erwischt, brechen diese regelrecht hervor.
M.L.: Ich setze mich ja täglich mit dem Thema auseinander, und das Ergebnis bestätigt ganz einfach, was wir bei unserer Arbeit immer wieder erleben. Jeder der RUZ-Nachfolgebegleiter kann unzählige Beispiele aus der Praxis nennen, die den Inhalt der Studie bestätigen.
Wie erklären Sie sich das?
M.L.: Mit der Persönlichkeit des Unternehmers! Er muss immer stark sein und auf jede Art von Situation reagieren können. Die Suche nach einer Nachfolgelösung sieht er als Aufgabe, die er wie jede andere Aufgabe allein meistern kann. Scheitert dies, so liegt es selten an den «technischen» Aspekten, sondern eher an den mit der Übergabe verbundenen Emotionen. Wir wollen dieses Tabu aufbrechen: Bei der Regelung der Nachfolge kommen immer Emotionen auf. Das muss man als Unternehmer einfach zulassen und so organisieren, dass sie die geplante Übergabe nicht gefährden.
Ch.S.: Gerade für gestandene Unternehmer mit all ihren Kompetenzen und Erfahrungen ist es ungewohnt und unangenehm, etwas nicht zu können – auch wenn es um Persönliches geht. Ich habe aus den Gesprächen immer wieder herausgespürt: «Das sollte ja nicht so schwer sein, aber ich bin trotzdem überfordert damit.»
Massimo Lecci ist Inhaber eines Executive MBA und war als leitender Angestellter in verschiedenen Bereichen der Industrie und im Dienstleistungssektor tätig. Als Gründer mehrerer Unternehmen verfügt er über umfassende Erfahrung mit dem Übergabeprozess, den er zunächst selbst als Unternehmer und später als RUZ-Nachfolgebegleiter vielfach erlebt hat.
Christian Sonderegger hat die Nachfolgestudie in Auftrag gegeben und begleitet. Er ist Projektleiter Marktforschung bei Raiffeisen mit Schwerpunkt in den Bereichen Firmenkunden und Durchführung von qualitativen Studien.